Auf dem Gipfel der Gastgeberfreuden
Es liegt ein Flimmern in der Luft. Man spürt förmlich die elektrostatische Aufladung gespannter Erwartungen, die sich über der südostchinesischen Großstadt Hangzhou verdichtet. Für Bewohner und Stadtverantwortliche schlägt die Stunde 20 beziehungsweise G 20, auf die man sich seit über zwei Jahren akribisch vorbereitet hat. Zum Wochenende werden sie alle kommen, die Staats- und Regierungschefs der führenden Industrie- und Schwellenländer mit samt Tausenden von Delegierten, Wirtschaftsvertretern, Medienleuten, Lobbyisten, NGO-Vertretern und was sonst noch so alles auf einem Gipfeltreffen der G 20 herumkreucht und fleucht. *Für China und Hangzhou ist es das große Ding. Das Reich der Mitte ist in diesem Jahr erstmals in die Präsidentschaftsrolle bei der G 20 gerückt und geht dieser mit einer Inbrunst und Ernsthaftigkeit nach, die ihresgleichen sucht. Hangzhou muss also eine perfekte Kulisse bieten. Das sollte eigentlich kein Problem sein. Die Lokalität wurde schon von Marco Polo als schönste und luxuriöseste Stadt der Welt gepriesen und ist mit reizvoller Landschaft, dem Anbau der begehrtesten chinesischen Grünteesorte Longjing sowie dem riesigen Lustwandelareal am berühmten West Lake ein Touristenmagnet schlechthin.Das ist zwar alles sehr schön, reicht aber noch nicht. Der G 20-Gipfel wird von der Regierung ungefähr in einer Dimension mit einer Olympia-Ausrichtung gesehen. Ergo bekam Hangzhou einen infrastrukturellen Tritt in den Allerwertesten verpasst, der den für die jüngsten Olympischen Spiele in Rio betriebenen Aufwand glatt in den Schatten stellen dürfte.Die Gegend um den West Lake ist nicht mehr wiederzuerkennen. Ein neues Konferenzzentrum mitsamt einem halben Dutzend Hotels wurde aus dem Boden gestampft. Auch zählt man die Kleinigkeit von 264 Straßenrenovierungsprojekten und das Verschwinden von ein paar Millionen Quadratmetern an illegalen Wohnflächen, sprich Barackenwohnungen. Gleichzeitig haben rund 9 Millionen Quadratmeter an Wohnungen, Fabriken, Verwaltungsgebäuden und sonstigen Immobilien einen monumentalen Facelift erhalten. Man hat den Eindruck, dass die ganze Gegend bei einem plastischen Chirurgen war. *Nun, da alles hübsch hergerichtet ist, fehlt noch das i-Tüpfelchen auf der Entrümpelungsaktion: Ein signifikanter Anteil der Bevölkerung Hangzhous möge doch bitte das Weite suchen, damit es beim G 20-Gipfel nicht ganz so wuselig wird und Platz für die Gäste ist. In China gibt es für den Export von Überkapazität immer probate Lösungen. Die Regierung hat für Verwaltung und Staatsbetriebe in Hangzhou eine Woche Gipfelferien vom 1. bis 7. September verordnet, die Privatwirtschaft ist aufgefordert, möglichst nachzuziehen. Passend dazu erhalten die Anwohner Hangzhous ermäßigte Zug- und Busfahrten, Hotelcoupons und spottbillige organisierte Reisen, um es sich eine Woche lang anderswo in China gemütlich zu machen.Für die vor Ort Verbleibenden heißt die Devise, ihre Englischkenntnisse aufzupolieren. Denn nur so kann man Gastfreundschaft und spontane Begeisterung für den hohen internationalen Besuch auch richtig artikulieren. Die Verantwortlichen haben eine Art Begrüßungsfibel mit wichtigen Kernsätzen zum Willkommenheißen und Erklären von Sehenswürdigkeiten an die Einheimischen verteilt. Das ist pädagogisch wertvoll und wird auch sicherlich von ausländischen Gästen goutiert, denn es erhöht ihre Chance, mit dem stets für Heiterkeit sorgenden “Chinglish” berieselt zu werden.Um die Grüßonkelrolle zu erleichtern, wird den Schlüsselsätzen eine Transliteration unter Verwendung chinesischer Zeichen mitgeliefert, die die englische Aussprache erleichtern soll. Das läuft dann zum Beispiel auf “Wai kan mu tu Hangzhou” (Welcome to Hangzhou) hinaus. Freundliche Hinweise auf eines der Highlights am West Lake, das sich “Fish Viewing at the Flower Pond” nennt, werden die Gäste dann als “Fei-shi wen-yin ai-te fu-la-wo pao-de” vernehmen. Vielleicht werden sie nicht sofort wissen, was gemeint ist, sicherlich aber, dass es gut gemeint ist.