LEITARTIKEL

Auf dem Weg zum Luxusladen

Das Jahr 2012 ist als eines der Transformation des in die Jahre gekommenen chinesischen Wachstumsmodells apostrophiert worden. Abkühlung der Wirtschaft bei Eindämmung der Inflationsraten, Einebnung der Handelsüberschüsse und Reduzierung der...

Auf dem Weg zum Luxusladen

Das Jahr 2012 ist als eines der Transformation des in die Jahre gekommenen chinesischen Wachstumsmodells apostrophiert worden. Abkühlung der Wirtschaft bei Eindämmung der Inflationsraten, Einebnung der Handelsüberschüsse und Reduzierung der Exportabhängigkeit, Förderung des Binnenkonsums und Ablösung der staatlichen Investitionen als wichtigstem Wachstumstreiber, strukturelle Reformen zur Anregung der privaten Investitionstätigkeit, Wandel von der industriellen Billigproduktion hin zu wertschöpfungsträchtigerer Fertigung. Der langen Liste kurzer Sinn ist ein gedrosseltes, aber qualitativ höherwertiges chinesisches Wirtschaftswachstum im Dienste der Wohlstandsmehrung. Es soll der Regierung erlauben, mit gutem Gewissen im Oktober den Staffelstab an eine neue Führungsmannschaft zu übergeben.Nun, da die Wirtschaftsdaten für das zweite Quartal vorliegen, könnte sich die Regierung eigentlich selber auf die Schulter klopfen, denn viele Punkte des wohlformulierten Zielkatalogs sind auf bestem Wege erreicht zu werden, wenn auch nicht ganz freiwillig. Mit 7,6 % Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im zweiten Quartal liegt man auf Kurs zur Punktlandung, nachdem die offizielle Zielmarke von 8 auf 7,5 % zurückgenommen worden war. Alles in bester Ordnung also? Getreu dem schönen Spruch “Be careful what you wish for, because it might come true”, wirkt die chinesische Regierung derzeit eher entgeistert darüber, wie sich die Wirtschaftsentwicklung den Lippenbekenntnissen annähert. Ganz so abgekühlt mag man die Konjunktur nicht haben. Das starke Zurückdrängen der Teuerung nimmt auf Ebene der Produzentenpreise deflationäre Züge an und lässt vermuten, dass die Binnennachfrage hinkt. Trotz gebremsten Exportwachstums schießen die Handelsüberschüsse in die Höhe, weil die Importe nicht mithalten.Eine erstaunliche Entwicklung, die im Trubel der Konjunkturdatenvorlage etwas untergegangen sein mag, ist die deutliche Erhöhung des Beitrags des Binnenkonsums zum BIP-Wachstum von 47,5 auf 57,5 % während der ersten Jahreshälfte. Demgegenüber steuerten die Investitionen nur noch gut 49 % bei, während die Exporte ein Negativposten waren. Eigentlich ein Grund, die Sektkorken knallen zu lassen ob der Herstellung einer Balance, wie sie den idealtypischen Vorstellungen eines nachhaltigeren Wachstums entspricht. Es handelt sich aber um das rechnerische Ergebnis eines untypischen Niedergangs der Bauinvestitionen in den letzten Monaten, der der Regierung eher Unbehagen bereitet und rasch wieder korrigiert werden soll. Dass das Wachstumstempo der chinesischen Wirtschaft von nunmehr 7,8 % für die erste Jahreshälfte so dicht an das offizielle Ziel heranrückt, empfindet man in Peking als eine ganz und gar ungemütliche Vorstellung. Die Rücknahme des Ziels diente schließlich in erster Linie dazu, bessere Voraussetzungen zu schaffen, dass die Marke bis zum großen Volkskongress im Oktober, der die Weichen für den großen Führungswechsel stellt, deutlich und sichtbar übertroffen werden kann.Ökonomen vergleichen das chinesische Wachstumsmodell der letzten Jahre gerne mit einem Supermarkt-Discounter, der sich bei hohem Warenumschlag zu niedrigen Margen auf Touren hält. In diesem Sinne würde der Transformationsprozess der chinesischen Wirtschaft auf die Annäherung an das Geschäftsmodell eines Luxusretailers hinauslaufen, der mit niedrigen Umsätzen, aber hohen Margen auf einen guten Schnitt kommt. Zielkatalog hin oder her, Wachstumsraten mit einer 7 vor dem Komma wirken wie ein Luxus, den sich die chinesischen Wirtschaftslenker noch nicht leisten können oder wollen.Vor dem Hintergrund des ungemütlichen weltwirtschaftlichen Klimas braucht es einen Puffer, um ein weiteres Absacken der Wachstumsrate im weiteren Jahresverlauf zu verhindern. Dass man dabei den einfachen alten Weg geht, nämlich den des Vorziehens von Infrastrukturbauten von der U-Bahn über die Kläranlage bis zur Stahlhütte, gilt für viele Ökonomen als ein enttäuschender Rückschritt. Dabei wird aber übersehen, dass langsamer wirkende fiskalische Maßnahmen, die auf eine Konsumförderung hinauslaufen, bereits veranlasst sind. Einen Stillstand in der Bauwirtschaft oder Stahlindustrie aber kann sich China nicht leisten, das würde auf eine Destruktion, nicht Transformation der Wirtschaftskräfte hinauslaufen. Schließlich geht es darum, den Discounter diskret aufzumöbeln und nicht gleich zugunsten eines Luxusladens ganz abzureißen.——–Von Norbert Hellmann ——- Dass Chinas Wachstumstempo dicht an die offizielle Zielmarke von 7,5 % heranrückt, empfindet man in Peking mittlerweile als ganz und gar ungemütliche Vorstellung.