DIE DIGITALE ÖKONOMIE

Auf dem Weg zur EU-Kommission 4.0

Lange Aufgabenliste für Digitalkommissar Oettinger

Auf dem Weg zur EU-Kommission 4.0

Von Detlef Fechtner, BrüsselBlöde Anmerkungen gab es nur am Anfang. Als im September bekannt wurde, dass EU-Kommissar Günther Oettinger künftig das Dossier Digitale Wirtschaft und Gesellschaft übernehmen werde, war die erste Reaktion vieler Medien spöttisch. Da habe EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker nun wirklich keinen “digital native” ausgewählt, höhnten die einen. IPad könne er immerhin schon, lästerten die anderen. Heute, gerade einmal gut vier Monate später, ist der Hohn verstummt. Die Diskussionen um das “Internet der Dinge” oder um die “Industrie 4.0” erreichen ein breites Publikum – und kaum jemand mehr behauptet, dass Oettinger auf ein unbedeutendes Arbeitsfeld geschoben wurde. Vier VerantwortlicheAllerdings ist mittlerweile auch offensichtlich, dass er sich die Macht zur Gestaltung und Entscheidung mindestens mit drei Kollegen teilen muss. Zum einen hat sein Tandempartner innerhalb des Kollegiums, der Este Andrus Ansip, ein gehöriges Wörtchen mitzureden. Der langjährige Premier verantwortet als EU-Vizepräsident den “digitalen Binnenmarkt” und soll die große Linie maßgeblich mitbestimmen. Ebenfalls eng abstimmen muss sich Oettinger zudem mit der für Justiz und Verbraucherschutz zuständigen Tschechin Vera Jourova, vor allem beim Datenschutz. Und schließlich ist Oettinger auf eine wirkungsvolle Kooperation mit EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager angewiesen – nicht nur, weil die Dänin den ersten Zugriff hat, um beispielsweise Google in die Schranken zu weisen.Was aber sind die entscheidenden Stellschrauben, an denen dieses Quartett drehen kann, um die Transformation der europäischen Wirtschaft in die digitale Ära zu erleichtern und zu beschleunigen? Und wie können Oettinger & Co. versuchen zu verhindern, dass Europas Industrie – so wie es Pessimisten weissagen – großen IT-Konzernen aus anderen Kontinenten immer größere Anteile an der Wertschöpfungskette überlassen muss? So wird in Panel-Debatten in Brüssel die Frage gestellt, ob die großen Autobauer der Zukunft womöglich nicht letztlich Google oder Microsoft heißen – und BMW oder Daimler nur noch für die Hülle sorgen. Vier zentrale PunkteEs sind vor allem vier zentrale Punkte, auf die Brüssel Einfluss nehmen kann. Erstens hat die EU-Kommission als oberste Wettbewerbsbehörde in Europa die Macht, die Spielregeln auszulegen. Vestager tüftelt etwa an der Frage, welche Bedingungen Google erfüllen muss, damit Angebote von Konkurrenten bei Suchabfragen prominent genug angezeigt werden. Solche Entscheidungen haben maßgeblichen Einfluss auf die Aufteilung von Märkten und das Tempo von Innovation.Zweite wichtige Kompetenz der EU-Behörde ist es, Investitionen in Infrastrukturen zu erleichtern. Die EU-Kommission bestimmt zum Beispiel mit ihrer Regulierung von Roaminggebühren über die finanziellen Möglichkeiten von Telefonfirmen mit, Geld in neue Netze zu stecken. Für das erste Halbjahr 2015 haben Juncker, Oettinger und Ansip versprochen, ihre digitale Strategie zu präzisieren. Dann wird man sehen, wie die “Balance” zwischen den Ertragschancen der Industrie und den Interessen von Verbrauchern und Konkurrenten aussehen soll.Drittes wichtiges Arbeitsgebiet ist der grenzüberschreitende Zugang zu Angeboten. Dass Iren spanisches Pay-TV sehen können, ist keine Selbstverständlichkeit. Oettinger hat bereits eine Novelle der Copyright-Regeln angekündigt. Streit, nicht nur mit der französischen Kulturindustrie, ist programmiert.Viertens schließlich hat die EU-Kommission Einfluss darauf, wie sicher das Internet ist und wie geschützt persönliche Daten sind. Eines der aktuell größten legislativen Projekte, die Neufassung der Datenschutz-Grundverordnung, soll im Frühjahr abgeschlossen werden. Darin geht es einerseits um Themen, die unmittelbar Einfluss auf Geschäftsmodelle haben, etwa die Weitergabe von “Kredithistorien” beim Kontowechsel. Zugleich werden darin – jenseits der Ökonomie – wesentliche Persönlichkeitsrechte geklärt, etwa das Recht auf Vergessenwerden. Mal sehen, ob es Oettinger als Digitalkommissar gelingt, so viel zu bewegen, dass er sich das Recht erwirbt, nicht vergessen zu werden.