NACH DER WAHL DER EU-KOMMISSIONSPRÄSIDENTIN

Auf Kollisionskurs

Von der Leyen hält am EU-Austrittsvertrag fest, Johnson erklärt ihn für tot

Auf Kollisionskurs

Von Andreas Hippin, LondonDie neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist mit der Aussage, dass der von der scheidenden britischen Premierministerin Theresa May mit der EU geschlossene Austrittsvertrag nicht nachverhandelt werde, auf Kollisionskurs zu Mays voraussichtlichem Nachfolger Boris Johnson gegangen. “Frieden und Stabilität auf der Insel Irland” sowie die Rechte der in Großbritannien lebenden EU-Bürger seien ihre Prioritäten. “Die mit der Regierung des Vereinigten Königreichs abgeschlossene Austrittsvereinbarung schafft Gewissheit, wo der Brexit Ungewissheit schafft.” Das entspricht im Großen und Ganzen der Verhandlungsposition der bisherigen Staatengemeinschaft. Sie sei jedoch zu einer weiteren Verlängerung der Austrittsfrist bereit, wenn “aus gutem Grund” mehr Zeit benötigt würde. Das gab Befürwortern eines weiteren Referendums Hoffnung auf ein wenig mehr Zeit, um eine weitere Volksabstimmung herbeizuführen. Die Kampagne People’s Vote kündigte einen “langen heißen Sommer des Protests” an. Die britischen Medien nahmen von der Leyens Abstimmungssieg mehrheitlich lediglich zur Kenntnis, um danach schnell wieder zu innenpolitischen Themen zurückzukehren.Der britische Brexit-Staatssekretär Stephen Barclay hatte EU-Verhandlungsführer Michel Barnier bei einem Treffen in der vergangenen Woche jedoch deutlich zu verstehen gegeben, dass der mit May ausgehandelte Deal tot sei. Und Johnson erklärte wiederholt, Großbritannien werde die Staatengemeinschaft am 31. Oktober verlassen, ob nun mit oder ohne Übereinkunft mit Brüssel. Sowohl er als auch sein Rivale Jeremy Hunt wollen die Vereinbarungen zu Nordirland streichen, die eine harte Grenze auf der Grünen Insel vermeiden sollen. Auch ein Backstop, der Nordirland für eine begrenzte Zeit in der Zollunion halten würde, kommt für sie nicht mehr in Frage. Von der Leyens Umgang mit dem Austritt Großbritanniens wird unmittelbar nach ihrem Amtsantritt zur Feuerprobe. Ihr Vorgänger hatte es nicht vermocht oder für nötig gehalten, das Land in der EU zu halten. Es wäre an der Zeit, das Scheitern der bisherigen Strategie zuzugeben und einen Neuanfang zu wagen. Antiquierte VisionenVon der Leyen, deren Vornamen die britischen Nachrichtensprecher nur mit Mühe über die Lippen bringen, gilt als Fürsprecherin der “Vereinigten Staaten von Europa” und europäischer Streitkräfte. In der “Times” wurde ihre Wahl als “Rückgriff auf das goldene Zeitalter vor dem Brexit, als die Exekutive der EU ein deutsch-französisches Projekt war”, erklärt. Im Zeitalter des Populismus machten ihre Visionen jedoch einen “antiquierten” Eindruck. Es gehe heute nicht mehr um “die großen deutsch-französischen Projekte der Vergangenheit, wie den Euro”, sondern darum, die Stellung zu halten, während ein gespaltenes Europa vor Herausforderungen wie China, Russland und der Präsidentschaft Donald Trumps stehe.Wenn es etwas gebe, das von der Leyen mit ihrer Mentorin Angela Merkel gemeinsam habe, sei es der Umstand, dass ihre politischen Überzeugungen schwer einzuordnen seien, hieß es im proeuropäischen “Guardian”. Anders als Merkel sei sie jedoch bereit, ihre Ziele auch gegen Widerstände durchzusetzen. Von der Leyen will eine gemeinsame Außen-, Energie- und Klimaschutzpolitik. Beschlüsse sollen nicht mehr einstimmig, sondern mit qualifizierter Mehrheit der Mitgliedstaaten möglich sein. “Sie will es schlimmer machen, als es schon ist”, kommentierte Annunziata Rees-Mogg, Europaabgeordnete der Brexit Party, die Vorschläge von der Leyens. Ihre Wahl nannte sie ein “abgekartetes Spiel”. Nigel Farage bezeichnete van der Leyen als “Fanatikerin”. Sei der Aufbau eines europäischen Militärs einmal abgeschlossen, werde die Nato entweder aufhören zu existieren oder in Europa keine Bedeutung mehr haben. “All das bestätigt, was wir bereits wussten: Die EU ist ein lauschiger Club für die Eliten, deren ,Wahlen` nur Rituale sind, die dazu dienen, den grundlegenden Mangel an Rechenschaftspflicht zu vertuschen”, schrieb Fraser Myers im “Telegraph”. Sie sei ein “behagliches Altersheim für ausgediente Politiker”.