GASTBEITRAG

Auf Kriegsfuß mit dem Zinsfuß

Börsen-Zeitung, 25.2.2016 Die Wirkungsweise von Abzinsungen bei der Ermittlung von künftig fälligen Forderungen oder Verbindlichkeiten war früher nicht jedem Manager klar. Jedenfalls hatte man diesen Eindruck, wenn in trauter Runde immer mal wieder...

Auf Kriegsfuß mit dem Zinsfuß

Die Wirkungsweise von Abzinsungen bei der Ermittlung von künftig fälligen Forderungen oder Verbindlichkeiten war früher nicht jedem Manager klar. Jedenfalls hatte man diesen Eindruck, wenn in trauter Runde immer mal wieder von Vorständen berichtet wurde, die bei Verhandlungen über eine entlassungsbedingte Abfindung gegen ihr eigenes Interesse darauf bestanden, dass die ausstehenden Zahlungen statt mit dem angebotenen niedrigen Zinssatz mit einem höheren abgezinst werden sollten. Heutzutage weiß jeder Manager wegen der erheblichen Effekte auf das Eigenkapital, insbesondere von Zusagen aus der betrieblichen Altersversorgung, dass die Niedrigzinsphase zu einem erheblichen Anstieg der Rückstellungen in der Handelsbilanz führt. Existenzielle WirkungDie teilweise existenziellen Auswirkungen haben den Gesetzgeber veranlasst, durch leichte kosmetische Eingriffe in den Berechnungsmechanismus bei der Ermittlung der Pensionsrückstellungen einen höheren Durchschnittszinssatz zuzulassen und so die Rückstellungen zu reduzieren. Diese Eingriffe sind allerdings auf die Handelsbilanz beschränkt, die für Steuerzwecke anzusetzenden Pensionsrückstellungen sind seit 1982 unverändert gemäß § 6 a EStG mit 6 % zu ermitteln. Bei dieser fiskalischen Zurückhaltung entsteht der Eindruck, dass steuerlich relevante Rückstellungen gar nicht niedrig genug sein können, und bisweilen wird von Steuerbeamten der – bilanziell mehr als fragwürdige – Eindruck vermittelt, dass es ausreiche, wenn der Aufwand aus der Pensionszusage sich irgendwann während der Dienstzeit des Arbeitnehmers steuerlich beim Arbeitgeber auswirkt. Der Abzinsungssatz wurde in 1981 als Maßnahme zum Subventionsabbau im 2. Haushaltsstrukturgesetz in der Agonie der Schmidt-Genscher-Regierung von 5,5 % auf 6 % angehoben, wobei das damalige Zinsniveau von Unternehmenskrediten leicht über dem Wert von 6 % lag. Dies war dann auch der entscheidende Aspekt dafür, dass das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1984 die gegen die Anhebung des Zinssatzes erhobene Verfassungsbeschwerde eines Unternehmens verwarf, allerdings nicht ohne in der Entscheidung darauf hinzuweisen, dass bei einer deutlichen Zinsentwicklung nach unten der Gesetzgeber verpflichtet sei zu prüfen, ob eine Anpassung in die andere Richtung geboten sei. Gesetzgeber gefragtDie Niedrigzinsphase hält jetzt lang genug an, auch Unternehmen erhalten Kredite mit Zinsraten von 0 % bis 1 %, und man fragt sich, was noch passieren muss, damit der Gesetzgeber darangeht, den ihm vom Bundesverfassungsgericht 1984 erteilten Auftrag zu erfüllen. Die Lösung kann doch nicht immer darin bestehen, dass erneut das Bundesverfassungsgericht angerufen werden muss! Den Eindruck kann man auch haben, wenn der Zinssatz (6 % p. a.) näher betrachtet wird, der in der Abgabenordnung für Erstattungen, Nachzahlungen oder Stundungen erhoben wird. Teure BetriebsprüfungDer für den Fiskus ergiebigste Bereich sind die Nachzahlungen nach einer Betriebsprüfung. Hier haben die Länder und Kommunen, denen die Zinsen zustehen, ausweislich der vom Bundesfinanzministerium jährlich veröffentlichten Statistik über Mehrergebnisse nach Betriebsprüfungen im Durchschnitt der Jahre 2010 bis 2014 knapp 2,6 Mrd. Euro eingenommen. Diese stolzen Zahlen beruhen darauf, dass nach Betriebsprüfungen, die häufig mehrere Jahre andauern, die sich ergebenden Nachzahlungen mit einer Karenzzeit von 15 Monaten nach dem jeweiligen Entstehungszeitpunkt der Steuern mit 6 % p. a. verzinst werden – übrigens steuerlich nicht abzugsfähig.Dabei sind die Unternehmen seit 2000 einseitig dem Zinsrisiko einer überlangen Betriebsprüfung ausgesetzt. Bis 1999 war der maximale Zinszeitraum auf vier Jahre begrenzt. Unabhängig davon war die Zinsregelung jahrzehntelang eine vernünftige und realitätsgerechte Typisierung, die zur Bewältigung des Massengeschäfts unerlässlich war. Kaum jemand forderte Änderungen, auch wenn das Marktzinsniveau für Unternehmenskredite unter 6 % rutschte.Seit Beginn dieses Jahrzehnts hat sich das allerdings massiv geändert. Die auf der Politik der EZB beruhende Niedrigzinsphase hat nicht nur erhebliche negative Auswirkungen etwa auf Lebensversicherungen, Bausparkassen und berufliche Versorgungswerke, sondern auch positive Effekte auf die öffentlichen Haushalte, die sich günstiger refinanzieren können. Das hat dazu geführt, dass selbst klamme Kommunen wie Duisburg und Oberhausen für 2015 in ihren Haushalten laut Berichten in der Lokalpresse eine schwarze Null ausweisen. An dieser Entwicklung partizipieren die Steuerzahler bisher nicht: Obwohl der Bund z. B. für aufgelegte Anleihen bei Laufzeiten bis zu sechs Jahren Negativzinsen erwirtschaften kann und Kunden bei ihrer Bank allenfalls symbolische Zinsen erhalten, wird bisher am Zinssatz von 6 % festgehalten. Hilfe von der dritten GewaltDa zumindest die Länder zu gesetzlichen Anpassungen nicht bereit sind, ist Hilfe auch hier nur von der Dritten Gewalt zu erreichen, und zwar nur mit der verfassungsrechtlichen Begründung, dass das Marktniveau sich so weit von den Verhältnissen entfernt hat, die der Typisierung zugrunde lagen, dass sich für den Gesetzgeber eine Anpassungspflicht ergibt. Dass ein solches krasses Missverhältnis seit ein paar Jahren erreicht ist, dürfte für Fachleute kaum noch streitig sein.—– Leitartikel Seite 8 —-Bernd Jonas, Aufsichtsrat Thyssenkrupp-Konzern