Aufgetauter Zauber

Von Ulli Gericke, Berlin Börsen-Zeitung, 20.4.2018 Wie repräsentieren sich Staaten? In Frankreich empfängt der Präsident wie ein republikanischer König in alten Schlössern, die es dutzendweise gibt. Hierzulande residiert die Bürgerkanzlerin in der...

Aufgetauter Zauber

Von Ulli Gericke, BerlinWie repräsentieren sich Staaten? In Frankreich empfängt der Präsident wie ein republikanischer König in alten Schlössern, die es dutzendweise gibt. Hierzulande residiert die Bürgerkanzlerin in der “Waschmaschine”, diesem Betonmonster im Berliner Regierungsviertel, an dem schon nach 20 Jahren die Schlieren an den Wänden herunterlaufen. Für den Besuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron hat sich die protestantische Pfarrerstochter Angela Merkel etwas Besonderes einfallen lassen: das Humboldt-Forum. Dieses künftige Museum ist zwar noch Großbaustelle. Aber die Mauern stehen, der Stuck ist auch schon angeklebt, der Bau in den Umrissen und im Aussehen des alten Berliner Stadtschlosses ist zu erkennen. Dort, in der disneyhaften Kopie der alten Hohenzollern-Burg, empfing die deutsche Kanzlerin ihren französischen Gast. An einem Ort von begrenztem Zauber.Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, hatte Merkel vor Jahresfrist beim ersten Besuch Macrons in Berlin gesagt. Wirkt dieser Zauber noch, wollte ein Journalist gestern von der Kanzlerin wissen. Die sagte, wegen der langen Regierungsbildung hierzulande hätte der Zauber ein bisschen konserviert und weggelegt werden müssen – “aber jetzt kommt er wieder”. Um ihn aufzutauen und zu beleben, habe sie den Präsidenten ins Schloss oder korrekt: in das künftige Humboldt-Forum eingeladen.Und getreu diesem historischen Ort – na ja, halbwegs historischen Ort, schließlich ist das Schloss nur ein billiger Nachbau – sprach Merkel den historischen Satz, “wir sind bereit, in einer vielleicht nicht unmittelbaren, aber in einer ferneren Zukunft auch ein gemeinsames Einlagensicherungssystem zu machen”. Womit die schon als “Madame Non” bezeichnete Kanzlerin doch noch den Weg frei macht zu einer gemeinsamen europäischen Absicherung von Spareinlagen bei Banken – nicht ohne sofort anzufügen: “Aber wir wollen gern, dass Haftung und Risiken durchaus zusammengehalten werden.” Namen von besonders betroffenen Ländern oder dortigen nationalen Banken sagte sie nicht.Grundsätzlich sei sie aber “sehr optimistisch”, dass die Bankenunion fertiggestellt werden könne. Die Kapitalmarktunion sei gar kein Problem. Macron wird diese Worte mit stiller Genugtuung gehört haben. Um seinerseits Entgegenkommen zu zeigen, betonte er anschließend, dass im Wirtschafts- und Währungsbereich eine bessere Verbindung zwischen Verantwortung und Solidarität hergestellt werden müsse. “Wir müssen einen Sockel haben, dass die Mitgliedstaaten selbst Verantwortung für Reformen und für eine Wettbewerbspolitik haben.” Solidarität funktioniere nicht, wenn die Verantwortung von den eigenen Akteuren nicht wirklich übernommen wird. Hintergrund für diesen Wortwechsel ist die Debatte, wie weit faule Kredite bei nationalen Banken abgebaut sein müssen, bevor europäische Solidarität für in Not geratene Finanzinstitute greifen soll.Sowohl Merkel als auch Macron bekannten sich zu umfangreichen Reformen, die die EU Ende Juni bei der Bankenunion, dem künftigen europäischen Asylsystem und der gemeinsamen Außenpolitik beschließen soll. “Wir sind der gemeinsamen Meinung, dass die Eurozone noch nicht ausreichend krisenfest ist”, sagte Merkel zu der Debatte über beispielsweise einen EU-Finanzminister oder ein eigenes Eurozonen-Budget. Frankreich habe Vorschläge gemacht. Auch Deutschland werde Ideen einbringen, die unter anderem daran erinnern, nur die Mischung aus Solidarität und eigenen nationalen Anstrengungen hätten die Wiedergenesung Irlands, Spaniens und Portugals ermöglicht. Bis Juni wollen Frankreich und Deutschland eine gemeinsame Position entwickeln, beteuerten beide Politiker. “Wir bringen zum Teil andere Aspekte ein, aber ich glaube, dass die Summe unserer Vorschläge am Schluss zu einem guten Ergebnis kommen kann”, zeigt sich Merkel optimistisch.Die schließlich auch noch auf den Aufreger aus jüngster Zeit zu sprechen kam, den Jumbo-Rat für eine größere europäische Wettbewerbsfähigkeit, in dem sich Finanz- und Wirtschaftsminister absprechen sollten. Solche Treffen von Innen- und Außenministern habe es bereits bei Migrationsfragen gegeben. Miteinander sprechen “tun wir in unseren nationalen Regierungen jeden Tag”.—-Merkel steht in fernerer Zukunft für ein gemeinsames Einlagensicherungssystem bereit.—-