NOTIERT IN LONDON

Aufklärung, sogenannte

Die Studierendenvertretung der Londoner School of Oriental and African Studies (SOAS) hat sich im 100. Jahr der Hochschule die "Entkolonialisierung" dieser "weißen Institution" vorgenommen. Die Mehrheit der in den Kursen durchgenommenen Philosophen...

Aufklärung, sogenannte

Die Studierendenvertretung der Londoner School of Oriental and African Studies (SOAS) hat sich im 100. Jahr der Hochschule die “Entkolonialisierung” dieser “weißen Institution” vorgenommen. Die Mehrheit der in den Kursen durchgenommenen Philosophen sollten aus dem “globalen Süden” stammen, fordert das Gremium. Schlechte Zeiten für Plato, Descartes, Hegel oder auch Marx und Engels. Sollte man nicht umhinkommen, auf “weiße” Philosophen zurückzugreifen, müssten deren Werke kritisch hinterfragt werden, “etwa indem man den kolonialen Kontext anerkennt, in dem die Philosophen der sogenannten Aufklärung schrieben”. Kants kategorischer Imperativ wäre für die Aktivisten vermutlich so schon schwer genug zu erklären. Den “kolonialen Kontext” herzuleiten, dürfte allerdings eine besondere Herausforderung darstellen. Die öffentlichen Reaktionen auf die Verlautbarungen der Studenten reichten von Befremden und Belustigung bis hin zur Empörung. Gekontert wurde mit den in der studentischen Politik üblichen Rassismus- und Islamophobie-Vorwürfen.Vielen Vorkämpfern der Political Correctness geht es darum, sich der Diskriminierung benachteiligter Gruppen in der Sprache und auf der Ebene des Diskurses entgegenzustellen. Sie wollen Herrschaftsverhältnisse bewusstmachen, zeigen, wie unvernünftig, ja moralisch verwerflich es ist, dass eine Institution wie die SOAS den großen Köpfen des Südens auch lange nach der Entkolonialisierung nicht den ihnen gebührenden Platz einräumt. Den angehenden Antidiskriminierungsexperten ist dabei offenbar entgangen, dass der von ihnen verwendete Begriff des “globalen Südens” von der Weltbank in die entwicklungstheoretische Debatte eingeführt wurde, einer Institution, der sie vermutlich nicht besonders nahestehen.Die School of Oriental Studies wurde 1916 mit dem Ziel geschaffen, bessere Verwalter und Offiziere für eine effizientere Beherrschung der britischen Kolonien auszubilden. Auch Ärzte, Händler, Lehrer und Missionare wurden dort in die Bräuche, Gesetze und Geschichte der Weltregionen eingewiesen, in die sie sich aufmachten. Zudem wurden sie in den Sprachen der Kolonisierten unterrichtet. 1938 wurde der Afrikabezug dem Namen hinzugefügt. Die koloniale Vergangenheit ist seitdem bereits ausführlich aufgearbeitet worden. Das Publikum hat sich merklich verändert. Zu den bekanntesten Alumni gehören Bülent Ecevit, der ehemalige türkische Ministerpräsident, Luisa Diogo, die ehemalige Premierministerin von Mosambik, und die burmesische Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi.Ausgerechnet die Vordenker der Entkolonialisierung sprachen den Werken “weißer” Philosophen reichlich zu. Es wäre schwierig, Frantz Fanons Theorie der Befreiung zu verstehen, ohne sich mit dem Existenzialismus von Jean-Paul Sartre auseinandergesetzt zu haben. Auch ein bisschen Hegel könnte dabei nicht schaden. Aber vielleicht haben sich Studierendenvertreter ja von den marxologisch geprägten Theorien der Befreiungskämpfer aus der Dritten Welt ebenso verabschiedet wie von den Idealen der Aufklärung und geben stattdessen religiös oder identitär begründeten Denkschulen den Vorzug.Universelle Werte? Das war gestern. Die SOAS gehört neben King’s College London und Queen Mary University zu den Hochschulen, denen die britische Regierung vorwarf, islamistischen Hasspredigern regelmäßig Auftritte zu ermöglichen. Die Universität rechtfertigte sich damit, dass lediglich einer der genannten Extremisten dort gesprochen habe. Die Feinde der “sogenannten Aufklärung” haben Zulauf, nicht nur am rechten Rand des politischen Spektrums. Heutzutage werden in Großbritannien Fragen diskutiert wie die, ob es schwarzen Kindern schade, dass es so wenig schwarze Puppen gebe, mit denen sie spielen könnten. Das schaffe eine “nahezu koloniale Umgebung”, kritisiert etwa die Sozialwissenschaftlerin Sheine Peart von der Nottingham Trent University. Der Bürgerrechtler Martin Luther King träumte einst, dass seine vier Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der man sie nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilt. Ausgerechnet Antirassisten verfolgen mittlerweile ganz andere Ideen.