Aus dem spanischen Oslo ins Homeoffice nach Andorra
Ende August kehrt schlagartig halb Madrid aus den Ferien zurück, und die Stadt wird jäh aus dem sommerlichen Tiefschlaf wachgerüttelt. Viele Menschen haben wegen des Urlaubsendes und der Rückkehr in den hektischen Alltag im Großstadtdschungel psychologische Störungen, die Jahr für Jahr in den Medien als “síndrome postvacacional”, also Nach-Ferien-Syndrom, thematisiert werden.Dieses Jahr ist aus hinlänglich bekannten Gründen alles anders. Der Verkehr auf den Straßen und in der Metro war zu Beginn der Arbeitswoche spürbar geringer als in den Vorjahren. Offenbar sind viele Menschen nach der Sommerfrische direkt in ihr Homeoffice zurückgekehrt oder arbeiten gar noch in der Zweitwohnung auf dem Land oder am Meer. In Madrid ist die Corona-Starre noch nicht vorbei, und die stark steigenden Neuinfektionen lassen kaum zuversichtlich auf ein baldiges Ende des Spuks blicken. Es besteht Mundschutzpflicht auf den Straßen, ein Rauchverbot auf Terrassen, und das legendäre Nachtleben der spanischen Hauptstadt ist eingefroren worden. Nach dem Ende der wilden Movida in den achtziger Jahren soll der Star-Regisseur Pedro Almodóvar, ein Kind dieser Epoche nach dem Ende der Franco-Diktatur, als sich eine ganze Generation Spanier nach allen Regeln der Kunst bis zum Morgengrauen austobte, geklagt haben, dass ihn Madrid an Oslo erinnere, weil die Kneipen nicht mehr alle unbegrenzt aufhatten. Heute werden wegen der Pandemie schon um 1 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt.Dass die Ferienzeit zu Ende ist und der Ernst des Lebens wieder beginnt, demonstrierte die spanische Regierung gleich am Montag mit einem großen Treffen mit Vorständen der Ibex-35-Konzerne und den Spitzen von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. In der Casa de América tauschte sich fast das gesamte Kabinett der Minderheitskoalition aus Sozialisten (PSOE) und dem Linksbündnis Unidas Podemos mit den Gästen aus, alle selbstverständlich mit Mundschutz ausgestattet. Ministerpräsident Pedro Sánchez hatte eine unmissverständliche Message für seine Rede vor den Kameras mitgebracht. “Einheit, Einheit, Einheit”. Der Aufruf war weniger an die Anwesenden gerichtet – mit den Tarifpartnern versteht sich die Linksregierung trotz einiger Streitigkeiten relativ gut -, sondern an die Opposition. Denn die konservative Volkspartei (PP) hält am harten Konfrontationskurs gegen Sánchez und dessen Vize, Podemos-Chef Pablo Iglesias, fest. Dabei haben viele der in der Casa de América anwesenden Vorstände, wie Ana Botín von der Großbank Santander, zuletzt selbst für mehr Einheit und eine konstruktive Zusammenarbeit der Parteien geworben, etwa bei der Ausarbeitung des Haushalts. Bei den Konservativen und den ihnen nahestehenden Medien nimmt man fassungslos zur Kenntnis, das sich die Führer des Ibex 35 nicht ihrem Feldzug gegen die Sánchez-Regierung anschließen. Der Regierungschef habe die Vorstände mit der Veranstaltung am Montag für eigene Marketingzwecke missbraucht, wetterte etwa die Zeitung “El Mundo”. Doch seit einiger Zeit weht in vielen Vorstandsetagen der spanischen Großkonzerne ein anderer Wind als früher. Vorbei sind die Zeiten von Francisco González an der Spitze der Großbank BBVA oder César Alierta bei Telefónica, die ihre Jobs der Nähe zur PP verdankten. Die heutige Wirtschaftselite ist pragmatischer. Das heißt freilich nicht, dass sich Spaniens Unternehmer mit den von den Linken anvisierten Steuererhöhungen anfreunden.Für Menschen, denen die Steuern zu hoch erscheinen, eröffnet die Pandemie derzeit ganz neue Möglichkeiten dank des Homeoffice. In Andorra ist die Zahl der Anträge auf Residenzstatus im Sommer sprunghaft gestiegen, wie die Wirtschaftszeitung “El Economista” unter Berufung auf eine Studie berichtete. Denn wer aus steuerlichen Gründen seinen Wohnsitz in das winzige Fürstentum in den Pyrenäen zwischen Spanien und Frankreich verlegt, muss dem spanischen Fiskus nachweisen, dass er sich auch tatsächlich die meiste Zeit des Jahres dort aufhält. Dank Homeoffice ist das nun deutlich leichter. Abgesehen von den ersparten Steuergeldern, genießt der Neuresident in Andorra auch bessere Luft, und im Winter kann man sich sogar ein bisschen wie in Oslo fühlen.