Gastbeitrag

Ausbeutung einer Minderheit

Börsen-Zeitung, 3.2.2007 Obwohl schon seit langem sehr kritisch über die Gesundheitsreform berichtet wird, stößt man in der Öffentlichkeit immer wieder auf eine erstaunliche Unkenntnis. Sogar die Privatversicherten als Hauptbetroffene scheinen noch...

Ausbeutung einer Minderheit

Obwohl schon seit langem sehr kritisch über die Gesundheitsreform berichtet wird, stößt man in der Öffentlichkeit immer wieder auf eine erstaunliche Unkenntnis. Sogar die Privatversicherten als Hauptbetroffene scheinen noch nicht zur Kenntnis genommen zu haben, wie die Koalition aus CDU und SPD ihnen das Fell über die Ohren ziehen will. Die folgenden zwei Punkte sind besonders kritisch zu sehen:1. Der Basistarif plündert die Privatversicherten aus. In der Bundesrepublik leben zurzeit rund 300 000 Personen, die überhaupt keinen Krankenversicherungsschutz haben. U. a. für diese Personengruppe sollen die privaten Krankenversicherungen nunmehr verpflichtet werden, einen “Basistarif” anzubieten. Das heißt nichts anders, als dass sie gezwungen werden (Kontrahierungszwang), mit diesen Personen eine Krankenversicherung abzuschließen, und zwar zu einem gesetzlich vorgeschriebenen nicht risikogerechten Tarif. Die Prämien steigenDer Tarif wird schon deswegen nicht risikogerecht sein, weil die bislang unversicherten Personen für die Versicherungen eine negative Selektion darstellen: Sie sind älter und damit krankheitsanfälliger als der Durchschnitt jener, die neu in eine Krankenkasse eintreten. Außerdem befinden sich in der Gruppe der Nichtversicherten zahlreiche Personen, die den Versicherungsschutz wegen Zahlungsverzug verloren haben, und solche Nicht-mehr-Versicherte, die ihres Versicherungsschutzes wegen Drohung, arglistiger Täuschung oder arglistiger Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht verlustig gingen. Die gesetzlich vorgeschriebenen Prämien werden also die Risiken nicht auffangen, und die Rechnung muss letztlich von den Privatversicherten gezahlt werden, die höhere Prämien bei geringeren Leistungen in Kauf nehmen müssen. Der brancheneinheitliche Basistarif muss von den privaten Krankenversicherern ohne Gesundheitsprüfung und ohne Wartefrist angeboten werden. Zunächst war vorgesehen, dass der Kontrahierungszwang zum Basistarif ab 2009 auf Dauer bestehen bleiben sollte. Neuere Überlegungen gehen nun dahin – aus Furcht vor einem negativen Urteil des Bundesverfassungsgerichtes -, 2009 lediglich ein Zeitfenster für sechs Monate zu öffnen. Subventionierter TarifDass diese Situation ausgenutzt werden wird und vor allem solche Menschen mit den privaten Krankenversicherungen zum Basistarif kontrahieren werden, die das Gefühl haben, bald krank zu werden und Versicherungsleistungen in Anspruch nehmen zu müssen, versteht sich dabei von selbst. Hinzu kommt, dass auch bereits Privatversicherte und freiwillig in der gesetzlichen Krankenkasse Versicherte in den Basistarif wechseln können. Als Resultat werden die langjährigen vertragstreuen Versicherungsnehmer der privaten Krankenkassen diese Tarife “subventionieren”. Die Folge wird sein, dass die privaten Krankenversicherungen drastische Tariferhöhungen vornehmen werden, die teilweise schon angekündigt sind. Gerade die älteren Versicherungsnehmer im Pensionsalter werden diese Tarife nicht mehr bezahlen können. Die Krankenkassenreform wird also letztlich die private Krankenversicherung zerstören; und die vertragstreuen Privatversicherten werden schonungslos ausgebeutet. 2. Auch die Rückstellung wird den Berechtigten entzogen. Die Situation wird durch einen weiteren Eingriff in das Versicherungsverhältnis noch verschärft. Bei den Privatversicherten, die in jungen Jahren und meist als gutes Risiko mit der privaten Krankenversicherung begannen, wurde zunächst ein bestimmter Teil der Prämie abgezweigt und damit eine Rückstellung gebildet. Diese Rückstellung sollte dazu dienen, die statistisch zu erwartenden weit höheren Krankheitskosten im Alter aufzufangen, um auf diese Weise zu vermeiden, dass die Prämie risikogerecht im Alter steil ansteigt und so den Versicherten in einer Lebensphase belastet, in der das Einkommen ohnehin zurückgeht. Integrierender Bestandteil dieser Vertragsgestaltung war aber, dass der Versicherte, falls er die Versicherung kündigte, diesen Rückstellungsanteil nicht mitnehmen konnte. Auf diese Weise konnten die privat Versicherten in vorgerücktem Alter darauf vertrauen, dass auch höhere Krankheitskosten abgedeckt werden – eben aus dieser von allen Versicherten dotierten Rückstellung. Hoheitlicher EingriffAls Bestandteil der Krankenkassenreform soll dieses System jetzt geändert werden, und der Privatversicherte soll die Möglichkeit haben, den auf ihn entfallenden Teil der Rückstellung mitzunehmen, wenn er zu einer anderen (billigeren) Krankenkasse wechselt. Mit dieser sogenannten “Portabilität” bricht natürlich das ganze System zusammen, das ja gerade darauf beruht, dass der “Topf” der Rückstellung eben nur durch höhere Krankheitskosten der Versicherten, nicht aber durch Kündigung vermindert werden kann. Es handelt sich hier um Sternverträge der Versicherten mit der privaten Versicherung dergestalt, dass die Versicherten eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts bilden, die den Vertrag mit dem oben beschriebenen Inhalt geschlossen hat. In diesen Vertrag wird nun von hoher Hand eingegriffen. Völlig vermurkstes GesetzJedwede Gesundheitsreform, die nicht am Patienten ansetzt, wird letztlich scheitern. Wie völlig “vermurkst” die gesamte Gesundheitsreform ist, zeigt noch folgendes Beispiel: Die Arztrechnungen gehen an die kassenärztliche Vereinigung und nicht an den Patienten, der diese seiner Krankenkasse dann weiterreichen würde. Auf diese Weise wird die wirksamste Kostenkontrolle der ärztlichen Leistung verhindert, nämlich durch jenen, der sie in Anspruch genommen hat. Nur ein solches Verfahren, verbunden mit einer – wenn auch noch so geringen – prozentualen Beteiligung an der Arztrechnung wäre ein notwendiger Filter und Kontrollmechanismus, wie überhaupt jegliche Gesundheitsreform, die nicht am Konsumenten der medizinischen Dienstleistung ansetzt und bei diesem durch Belohnung und Pönale für sparsame Inanspruchnahme der medizinischen Dienstleistung sorgt, zum Scheitern verurteilt ist. Dieser entscheidende Fehler im Denkansatz wird uns alsbald englische oder schwedische Verhältnisse im Gesundheitswesen bescheren. Klarer Verfassungsbruch 4) Ein klarer Rechts- und Verfassungsbruch. Den bisher nicht Versicherten die Möglichkeit zu geben, eine Krankenversicherung abzuschließen, ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft und kann nicht einer kleinen Gruppe der Bevölkerung, den rund acht Millionen Privatversicherten, aufgedrückt werden. Das ist ein klarer Bruch des Rechts und der Verfassung. Dieses Gesetz, dessen Hauptinhalt die Ausbeutung der Privatversicherten und die Zerstörung der privaten Krankenversicherungen ist, soll offiziell “GKV Wettbewerbsstärkungsgesetz” heißen – genau wie in Georges Orwells Buch “1984” die Zwangsarbeitslager “Lustlager” und das Kriegsministerium “Friedensministerium” benannt wurden. Was bleibt, ist die Hoffnung auf einen Spruch des Bundesverfassungsgerichtes. *) Der Autor ist Rechtsanwalt und Notar in Frankfurt.