Ausnahmezustand am neuen "Haus des Euro"

Von Mark Schrörs, Frankfurt Börsen-Zeitung, 19.3.2015 Seit den Morgenstunden Polizeihubschrauber am Himmel, lichterloh brennende Autos und Mülltonnen, Straßenschlachten zwischen Vermummten und Polizisten, mit am Ende wohl Hunderten Verletzten:...

Ausnahmezustand am neuen "Haus des Euro"

Von Mark Schrörs, FrankfurtSeit den Morgenstunden Polizeihubschrauber am Himmel, lichterloh brennende Autos und Mülltonnen, Straßenschlachten zwischen Vermummten und Polizisten, mit am Ende wohl Hunderten Verletzten: Frankfurt glich gestern zeitweise einer Stadt im Ausnahmezustand. Mehrere Tausend Anhänger der kapitalismuskritischen Blockupy-Bewegung aus ganz Europa waren in die Stadt am Main gekommen, um zur Eröffnung des Neubaus der Europäischen Zentralbank (EZB) zu demonstrieren. “Lasst uns die Party übernehmen!”, so das Motto. Es sollte um friedlichen Protest gehen gegen die aus Sicht der Aktivisten verfehlte Krisenpolitik in Europa. Am Morgen aber schlug es um in blinde Gewalt.Zeitgleich schienen sich drinnen in der EZB, bei der feierlichen Zeremonie, die rund 100 Gäste – vor allem aktuelle und ehemalige Euro-Notenbanker, einige Politiker sowie prominente Bürger der Stadt wie Banker Friedrich von Metzler oder Ex-Oberbürgermeisterin Petra Roth – dennoch um so etwas wie Normalität zu bemühen. So zumindest der Eindruck, der durch die via Internet verbreiteten Live-Bilder aus den 1,3 Mrd. Euro teuren Doppeltürmen vermittelt wurde. Denn die EZB hatte nur wenige Journalisten von Nachrichtenagenturen und einem Fernsehteam Zutritt gewährt. Eine Entscheidung, die für viel Kritik sorgte. Symbol der IntegrationGenauso wie der Beschluss, die offizielle Eröffnung – umgezogen ist die EZB bereits im November – nur in sehr kleinem Kreis zu feiern, bei einigen für Unverständnis, bei anderen für Spott gesorgt hatte: Die EZB kneife vor der Auseinandersetzung mit ihren Kritikern, hieß es. Und die Blockupy-Aktivisten feierten das als Sieg. In der EZB wäre es am Ende wohl so manchem recht gewesen, gar keine Eröffnungsfeier mehr auszurichten. Aber sie war schon vor langer Zeit angekündigt worden.EZB-Präsident Mario Draghi nutzte seine Rede nun vor allem, um den Geist der europäischen Einheit zu beschwören. Der Euro habe sich “zum wohl greifbarsten Symbol der europäischen Integration” entwickelt, und das neue EZB-Domizil werde ohne Zweifel zum “Haus des Euro”. “In diesem Sinn ist das Gebäude ein Symbol des Besten, was Europa gemeinsam erreichen kann”, sagte der Italiener – mahnte aber auch: “Zugleich ist es aber auch ein Symbol dafür, warum wir nie wieder eine Desintegration Europas riskieren dürfen.”Statt in der aktuellen Krise das Heil in einer Rückbesinnung auf den Nationalstaat zu suchen, müsse mehr Integration die Antwort sein. Es gehe aber auch nicht um das “Beharren auf einer unerreichbaren Vision”, sondern um ehrgeizige und pragmatische Ziele. “Durch das Aufgeben einer gewissen formalen Souveränität werden die Menschen an effektiver Souveränität gewinnen”, sagte Draghi. Der Euroraum sei aber “keine politische Union der Art, bei der einige Länder permanent die Zeche anderer Länder zahlen”.Hessens stellvertretender Ministerpräsident Tarek Al-Wazir (Grüne) sprach von einem “guten Tag” für die EZB und einem “sehr guten Tag” für Frankfurt und Hessen. Die Eröffnung des Neubaus sei Ausdruck des Vertrauens in die Stadt und das Land. Er hoffe, sagte Al-Wazir, dass der Neubau – “anders als heute” – bald zu einem “normalen Teil der Stadt” wird. Auch Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) hob die Bedeutung der EZB für die Stadt hervor. Mit der EZB sei Frankfurt zur “dritten Hauptstadt Europas” geworden – neben Brüssel und Straßburg. Beide, Al-Wazir und Feldmann, assistierten am Ende Draghi, als dieser in der Großmarkthalle das blaue Eröffnungsband durchschnitt. “Nicht zu schnell”, wie Al-Wazir Draghi mit Blick auf die Fotografen mitgab.Bei allem Bemühen um Normalität und teils freudige Stimmung – was sich während der Zeremonie rund um die EZB und in der Stadt ereignete, spielte auch drinnen eine Rolle. Die Botschaft von Al-Wazir und Feldmann war dabei gleich: Kritik und Protest seien in Ordnung, Gewalt aber sei völlig intolerabel. Draghi richtete seinen “speziellen Dank” an die Polizei und die Sicherheitskräfte.Auch Draghi zeigte Verständnis, wenn Bürger, die von Einkommensverlusten betroffen sind und deren Lebenssituation sich verschlechtert hat, frustriert sind. Er nannte es aber “nicht fair”, wenn diese Unzufriedenheit auf die EZB projiziert werde: Schließlich zielten alle EZB-Maßnahmen darauf ab, jene Schocks abzufedern, die die Wirtschaft verkraften muss. “Doch als die Zentralbank des gesamten Euroraums müssen wir all unseren Bürgerinnen und Bürgern sehr aufmerksam zuhören.” Und Draghi zeigte sich überzeugt, dass es gelingen könne, auch diejenigen mit ins Boot zu holen, “die sich ausgeschlossen fühlen”, darunter viele der Demonstranten – und zwar “durch einen Integrationsprozess, der schon so viel Positives für drei Generationen von Europäern bewirkt hat”. ——–In kleinem Kreis feiert die EZB die Eröffnung ihres Neubaus. In der Stadt gibt es schwere Krawalle.——-