"Austeritätspolitik ist ein gefährlicher Irrweg"
Von Stephan Lorz, Frankfurt”Wir haben in Deutschland ein neurotisches Verhältnis zu Verschuldung und Inflation”, das ist das Credo des Wirtschaftsweisen und Würzburger Ökonomen Peter Bofinger. Damit erklären sich dann auch seine Sicht auf die Finanzkrise und sein Lösungsmodell, das er zur Überwindung der Probleme in der Währungsunion anbietet: Entweder mehr Inflation und Staatsverschuldung bis zu einem gewissen Grad zulassen, Defizite, sofern sie Zukunftsinvestitionen dienen, nicht von vornherein verteufeln. Oder zurück zum Wachstumsmodell von Ludwig Erhard, was aber einhergeht mit einer spürbaren Umverteilung der Vermögen zu den weniger betuchten Bevölkerungsschichten, damit die Privatnachfrage wieder stärker in Gang kommt.Denn wie Bofinger bei der BAI Alternative Investment Conference in Frankfurt erläuterte, wurde das auf die Teilhabe der breiten Massen ausgerichtete Wachstumsmodell der fünfziger und sechziger Jahre durch die Privatisierungs- und Deregulierungsorgien der siebziger und achtziger Jahre beendet. Gewinner seien vermögende Schichten und Finanzmarktakteure gewesen, Lohnbezieher hatten das Nachsehen; ihr Anteil an der Binnennachfrage sei zurückgegangen, das Wirtschaftswachstum habe infolgedessen nachgelassen. Die durch niedrige Zinsen ermöglichte höhere Privatverschuldung habe den Nachfrageausfall dann kompensiert – bis zur Finanzmarktkrise. Seither müssten die Privathaushalte wieder mehr sparen; der Staat habe ihre Rolle in der Volkswirtschaft übernommen und dabei seine Verschuldung nach oben getrieben.Soll das Wachstum nicht ganz zusammenfallen, weil Privathaushalte und Staat gleichzeitig sparen, müsste man nach Ansicht von Bofinger entweder dem amerikanischen Weg folgen und die Konsolidierung der Staatshaushalte für einige Zeit noch hinauszögern. Oder man müsste für mehr Wachstum sorgen über eine höhere Nachfragekraft breiterer Bevölkerungsschichten. Und Letzteres ginge eben nur durch Umverteilung.Der bisher eingeschlagene Weg indes – private und staatliche Austerität – ist nach Ansicht von Bofinger ein “gefährlicher Irrweg”. Denn den Sparern auf der einen Seite stehen keine Schuldner mehr auf der anderen Seite gegenüber. Fehlinvestitionen seien die Folge. Und weil die Zinsen sinken, würden sie ihre Sparanstrengungen zudem immer weiter erhöhen, um etwa bei der Altersvorsorge auf ihre erhoffte Ausschüttung zu kommen. Das drücke zusätzlich auf das Wachstum. Ein Teufelskreis setze sich in Bewegung, der in die Depression führe. Bofinger: “Es entwickelt sich ein neues Sparparadox.”Deutschland, warnt der Ökonom unter Hinweis auf die Austeritätspolitik von Reichskanzler Heinrich Brüning in den dreißiger Jahren, habe historisch gesehen “viel stärker unter falschem Sparen gelitten als unter einer erhöhten Staatsverschuldung oder einer zu hohen Inflation”.