Auto- und Maschinenbauer atmen auf
rec Frankfurt – Mit der Brexit-Bescherung ist ein kollektiver Seufzer der Erleichterung durch Europas Industrie gegangen. Eine Last schwer wie Schiffscontainer fiel von Auto- und Maschinenbauern, Elektro-, Pharma- und Chemieherstellern ab. Auch wenn trotz der Einigung an Heiligabend Unwägbarkeiten bleiben: Zumindest der größte anzunehmende Unfall für ihre Geschäftsbeziehungen ins Vereinigte Königreich bleibt der Industrie erspart.In keiner Branche stand wirtschaftlich so viel auf dem Spiel wie in der Automobilindustrie. Drei Millionen Kraftfahrzeuge im Wert von 54 Mrd. Euro finden pro Jahr den Weg über den Ärmelkanal, rechnete der Verband der europäischen Automobilhersteller Acea vor, dazu Autoteile über knapp 14 Mrd. Euro. Nun ließen sich “die katastrophalen Folgen eines No-Deal-Brexits vermeiden”, sagte Acea-Chef Eric-Mark Huitema. Ebenso erleichtert zeigte sich Hildegard Müller, oberste Interessenvertreterin jener Branche, für die Großbritannien der nach Verkaufsvolumen wichtigste Auslandsmarkt ist. Die Präsidentin des Automobilverbandes VDA sprach vom “besten nun erreichbaren Szenario”. Zugleich mahnte Müller Lösungen “für das schwierige Thema der Ursprungsregeln” und für “die praktischen Hürden” an. Explizit verwies sie auf die zu befürchtenden langen Staus an der Grenze, sobald am 1. Januar Zollkontrollen nötig werden.Brüssel und London haben einander zugesichert, die technischen Standards der UN-Wirtschaftskommission für Europa anzuwenden und entsprechend gefertigte Fahrzeuge auf den Markt zu lassen. Ihre Vereinbarung sieht vor, in der Marktüberwachung zu kooperieren und Informationen auszutauschen. Außerdem bekunden beide Seiten die Absicht, in Forschung und Entwicklung sowie in Sachen Fahrzeugsicherheit, Schadstoffemissionen und neue Technologien zusammenzuarbeiten. Marc Lehnfeld von der bundeseigenen Anstalt für Standortmarketing und Außenwirtschaft GTAI zufolge profitiert der bilaterale Autohandel in besonderem Maße davon, dass Zölle abgewendet sind. “Pkw und Kfz-Teile bleiben je nach Ursprungsregel bei dem Warenaustausch zollfrei. Dies entspricht rund 30 % der britischen Einfuhren aus Deutschland”, sagte Lehnfeld in London. Über globale Wertschöpfungsketten stark vernetzte Industrien wie Maschinenbau und Chemieindustrie könnten ebenfalls aufatmen.Lehnfeld äußerte sich zuversichtlich, dass sich der seit Jahren wachsende Investitionsstau löst. “Bis Ende 2019 sind beispielsweise die realen Bruttoinvestitionen in Maschinen und Anlagen 20 % zurückgegangen.” Entsprechend erleichtert reagierte Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des Maschinenbauverbands VDMA, auf das “wichtige Signal für alle Unternehmen auf beiden Seiten des Kanals”. Nun seien allerdings Details zu klären. “Daher ist zu erwarten, dass trotz des Abkommens der Handel zum Beispiel aufgrund sich auseinanderentwickelnder Standards deutlich schwieriger wird”, sagte Brodtmann. Zwischen Erleichterung und Skepsis schwankte auch Wolfgang Weber vom Verband der Elektrobauer. Kunden in der Luft- und Raumfahrtindustrie, Automobilindustrie und Medizintechnik hätten ihre Investitionen in Großbritannien bereits verringert.Besonders komplex werden die künftigen Geschäftsbeziehungen für Unternehmen der Pharma- und Chemieindustrie. Für Wirkstoffe, Chemikalien und andere Substanzen gelten traditionell besonders strikte Vorgaben. Nun ist das gemeinsame Regelwerk hinfällig. Dem Wortlaut des Vertrags zufolge zeigen sich London und Brüssel bemüht, Hand in Hand zu arbeiten und beispielsweise Produkte nicht doppelt zertifizieren zu lassen. Nun sei jedenfalls Pragmatismus das Gebot der Stunde, appellierte Verbandschef Wolfgang Große Entrup: ” Wir setzen darauf, dass sich beide Seiten dessen bewusst sind.”