PERSONEN

Bedrückender Streifzug durch die Außenpolitik

Von Bernd Wittkowski, Frankfurt Börsen-Zeitung, 1.11.2016 Was unterscheidet Politik und Wirtschaft? Politik sei komplexer, sagt Norbert Röttgen, von FAZ-Herausgeber Werner D'Inka als Moderator auf zuweilen wenig freundliche Kommentare aus der Welt...

Bedrückender Streifzug durch die Außenpolitik

Von Bernd Wittkowski, FrankfurtWas unterscheidet Politik und Wirtschaft? Politik sei komplexer, sagt Norbert Röttgen, von FAZ-Herausgeber Werner D’Inka als Moderator auf zuweilen wenig freundliche Kommentare aus der Welt der Wirtschaft über die Welt der Politik angesprochen. In der Politik habe man “praktisch jeden Tag Hauptversammlung”, und das auch noch zweigeteilt: eine kleine Hauptversammlung in Gestalt der eigenen Partei, die wiederum unter Beobachtung der großen Hauptversammlung, des Publikums beziehungsweise der Wählerschaft, stehe – eine ständige multipolare Kommunikationsbeziehung. Mulmige GefühleDer Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages und frühere Bundesumweltminister ist an diesem Montag Interviewpartner beim Frühstücksgespräch der Frankfurter Volksbank, und wenn die meisten der rund 250 Kunden und sonstigen Gäste die Veranstaltung danach wohl mit eher mulmigen Gefühlen verlassen, liegt das mit Sicherheit nicht an der Qualität des Frühstücks in Frankfurts Alter Oper. Vielmehr kann Röttgens Tour d’Horizon durch die Außen- und Sicherheitspolitik den Zuhörern zumindest im übertragenen Sinne auf den Magen schlagen. Nicht, dass der 51-Jährige schlagzeilenträchtige Neuigkeiten mitgebracht hätte. Aber schon der Streifzug durch die aktuelle Nachrichtenlage reicht aus, um jeden vielleicht noch verbliebenen Zweifel daran zu zerstreuen, dass es in der Außenpolitik, wie Röttgen sagt, zurzeit “nur bedrückende Themen” gibt.Der einstige Hoffnungsträger der CDU, der nach der mit ihm als Spitzenkandidat verlorenen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2012 auf Initiative von Kanzlerin Angela Merkel als Bundesminister entlassen wurde, lässt das Auditorium mit einer ungeschminkten, man könnte fast sagen: schonungslosen Analyse an seinen offenbar schwerwiegenden Sorgen teilhaben. Ja, zum ersten Mal in der Geschichte der europäischen Integration sei ein Scheitern des Projekts möglich. Nachdem Krisen der EU in der Vergangenheit stets Motor des Fortschritts und der weiteren Integration gewesen seien, sei es diesmal anders. “Es kann auch vor die Wand fahren”, so Röttgen.Schuld ist aus seiner Sicht der, wie er betont, “flächendeckende” Egoismus und/oder Nationalismus der Regierungen. Die Politiker verhielten sich so, dass sie von der nationalen Wählerschaft Applaus bekämen. Im Ergebnis befinde sich Europa in einem Zustand, “in dem wir auf keinem Gebiet mehr irgendwas hinkriegen”. Weil ein Scheitern Europas eine geo- und sicherheitspolitische Katastrophe wäre, müsse dieser Egoismus dringend beendet werden, und dabei hänge die Zukunft Europas in einem Maße wie noch nie zuvor entscheidend von Deutschland ab.Der Brexit wird nach Röttgens Einschätzung gleichwohl ein Einzelfall bleiben. Es gebe heute kein zweites Land nach Großbritannien, in dem die Regierung oder der Präsident in Richtung EU-Austritt steuere – was theoretisch natürlich denkbar wäre. Doch seien die enormen finanziellen, ökonomischen, politischen und namentlich sicherheitspolitischen Vorteile der Mitgliedschaft gerade auch für die osteuropäischen Länder allzu offensichtlich. Röttgen hatte freilich auch den Brexit nicht auf der Rechnung gehabt.Auf die ausgerechnet in einer Zeit der Prosperität weit verbreitete Politikverdrossenheit und Protestbewegungen angesprochen, eiert Röttgen mit seiner Antwort ziemlich lange herum, gesteht aber erfreulich offen ein, dass in der ganzen westlichen Welt “wir, die besondere Verantwortung tragen”, in den vergangenen 20 Jahren viele Fehler gemacht hätten. Im Zuge von Globalisierung, Liberalisierung oder auch des Interventionismus fühlten sich viele Menschen alleingelassen (“Ich bin das arme Schwein, um das sich keiner kümmert”). Auch in der Flüchtlingspolitik seien Fehler gemacht worden, jedenfalls insoweit, als die Implikationen nicht überschaut wurden. Letztlich sei ein Gemisch entstanden, das politisch ausgenutzt werden könne, und so seien auch “Anwandlungen” zu erklären, “dass das Autoritäre eine gewisse Attraktivität hat”. In dieser “extrem ernsten Lage in den westlichen Gesellschaften” gelte es – auch für die Medien -, die westlichen Werte als politisches Konzept neu zu beleben, die Pro-Stimme etwa für Marktwirtschaft und für europäische Integration zu erheben und nicht “in geistig-politischer Trägheit”, die eine gefährliche Dimension erreicht habe, den Anti-Bewegungen das Feld zu überlassen. Schwarz-Grün als ModellAuch um Innenpolitik und um die Befindlichkeiten der CDU und der Parteien überhaupt geht es an diesem Morgen. Zwei Fragen dazu beantwortet Röttgen mit einem wie aus der Pistole geschossenen “Ja”: Ob Schwarz-Grün in Hessen ein Modell für den Bund sei, und ob Merkel bei der Bundestagswahl 2017 wieder antreten werde. Die Kanzlerin könne nicht mitten in einer Aufgabe gehen, mit der sie verbunden werde wie sonst niemand. Auch würde die CDU ohne Merkel “in der Kürze der Zeit nicht besser aussehen”, sagt das einstige Merkel-Opfer.Und Röttgens Zukunft? Volksbank-Chefin Eva Wunsch-Weber hatte in ihrer Begrüßung auf sein erfolgreiches Comeback als Außenpolitiker hingewiesen. Er selbst findet die heutige Zeit trotz der Vielzahl bedrückender Themen “politisch-intellektuell faszinierend”. Sollte er weitergehende Ambitionen hegen, lässt er sie sich zumindest an diesem Vormittag nicht anmerken.