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Bei der Grundsteuer sind wieder Verfassungsrechtler gefragt

Von Angela Wefers, Berlin Börsen-Zeitung, 3.5.2019 Es gibt den Grundsatz bei Regierungsmitgliedern, sich auf Auslandsreisen nicht zu innenpolitischen Fragen zu äußeren. Für Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gilt dies offensichtlich...

Bei der Grundsteuer sind wieder Verfassungsrechtler gefragt

Von Angela Wefers, Berlin Es gibt den Grundsatz bei Regierungsmitgliedern, sich auf Auslandsreisen nicht zu innenpolitischen Fragen zu äußeren. Für Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gilt dies offensichtlich nicht. Er erklärte am Rande einer Osteuropareise in Sofia den Tod des Grundsteuerreformentwurfs von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), forderte eine Öffnungsklausel für die Länder, mindestens für Bayern, und beschwor damit ohne Not einen Koalitionsstreit herauf.Dabei hatte Scholz zu diesem strittigen Thema schon längst versöhnliche Signale gesandt. Denn klar ist: Gegen die CSU-Minister bringt er keinen Entwurf durch das Bundeskabinett. Im Interview der “Augsburger Allgemeinen” zeigte sich der Minister vor knapp zwei Wochen kompromissbereit. Nahezu alle Bundesländer hielten seinen Entwurf für praktikabel, fast jedes Land habe noch den ein oder anderen Wunsch, erläuterte Scholz. Bayern strebe nach einer Öffnungsklausel. “Bevor wir diskutieren, ob das sinnvoll ist oder nicht, müssen wir verfassungsrechtliche Fragen klären – das machen wir nach Ostern”, sagt der SPD-Politiker. “Denn es macht keinen Sinn, etwas zu wollen, was man von Verfassungs wegen gar nicht darf.” Die Konsultation hatte Scholz Anfang April den Länderfinanzministern schriftlich in Aussicht gestellt. Der Termin steht: Am 10. Mai trifft sich Scholz mit seinen Amtskollegen aus Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz – Albert Füracker (CSU), Thomas Schäfer (CDU) und Doris Ahnen (SPD) – sowie vier Verfassungsrechtlern. Novelle unter Zeitdruck Hintergrund des Dissenses zwischen dem Bund und Bayern, zwischen Scholz und Söder, ist die Grundsatzfrage, wie die Grundsteuer zu reformieren ist. Dass sie novelliert wird, ist unstrittig. Das Bundesverfassungsgericht hat im April 2018 eine Novelle verlangt, die die veralteten Grundstückswerte von 1964 im Westen und 1935 im Osten Deutschlands aktualisiert. Diese Werte dienen heute als Bemessungsgrundlage für die Steuer. Das Gesetzgebungsverfahren muss bis Ende 2019 abgeschlossen sein, sonst darf die Steuer von 2025 an nicht mehr erhoben werden. Die Zeit drängt damit. Das Aufkommen von insgesamt mehr als 14 Mrd. Euro ist eine wichtige Einnahmequelle der Gemeinden. Die Kommunen – und die für sie nach der Finanzverfassung verantwortlichen Länder – haben deshalb höchstes Interesse daran, dass die Novelle fristgerecht in Kraft gesetzt wird.Während Scholz einen Entwurf für ein wertabhängiges Modell vorgeschlagen hat, strebt Bayern nach einem wertunabhängigen, dem sogenannten Flächenmodell. Beim Scholz-Model fließen unter anderem Bodenrichtwert und Miethöhe in die Bemessungsgrundlage ein. Kritiker befürchten eine Kostenexplosion in Ballungszentren. Die Grundsteuer dürfen Eigentümer den Mietern laut Betriebskostenverordnung weiterberechnen – bislang jedenfalls. Die SPD liebäugelt mit einem Verbot.Die Wirtschaft befürwortet das Flächenmodell, das als einfacher administrierbar gilt. Das Scholz-Modell könnte sich zu einem Bürokratiemonster entwickeln, wird befürchtet. Daran haben auch die Bundesländer kein Interesse. Sie sind für die Steuerverwaltung zuständig. Bayern will die geforderte Öffnungsklausel nutzen, um im Freistaat das Flächenmodell zu etablieren.Vor allem fürchtet die Wirtschaft mit der Einführung des wertabhängigen Modells ein Emporschnellen der Grundsteuer, obwohl Aufkommensneutralität versprochen ist. Die Steuer errechnet sich aus drei Komponenten: dem Immobilienwert, der im Gesetz fixierten Steuermesszahl und dem kommunalen Hebesatz. Die Steuermesszahl hat Scholz im Entwurf drastisch gesenkt, um die höheren Bodenwerte zu kompensieren. Damit die Einnahmen nicht steigen, müssen die Kommunen aber auch die Hebesätze deutlich mindern. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hatte jüngst versichert: “Die Städte und Gemeinden werden die Reform nicht für eine Steuererhöhung nutzen!” Zweifel sind angebracht. In den vergangenen Jahren haben viele finanzschwache Gemeinden kräftig an dieser Steuerschraube gedreht (siehe Grafik). Selbst bei gleichbleibendem Aufkommen wird die Steuerlast neu verteilt.Eine Öffnungsklausel, die zu unterschiedlichen Besteuerungsmethoden für denselben Sachverhalt führt, wäre hierzulande neu. Laut Grundgesetz Art. 72 dürfen die Länder in der konkurrierenden Gesetzgebung eigene Gesetze erlassen, aber nur soweit der Bund dies nicht übernimmt. Bei der Auslegung dieser Gesetzesnorm haben nun die Verfassungsrechtler das Wort. Die Wirtschaft jedenfalls rudert in ihrem Streben nach dem Flächenmodell schon etwas zurück. Der Spitzenverband der Immobilienwirtschaft ZIA appelliert, abweichende Regeln zur Grundsteuererhebung nur dann zuzulassen, wenn es einfacher wird. “Falls abweichende Regeln erlaubt werden sollten, muss von Anfang an klar sein, dass auch die einzelnen Ländermodelle aufkommensneutral und einfach gestaltet sein müssen”, ergänzte ZIA-Präsident Andreas Mattner. “Für haushaltsschwache Bundesländer darf es keinen Freischein zur Schröpfung geben.”