IM INTERVIEW: ULF MOSLENER, FRANKFURT SCHOOL OF FINANCE & MANAGEMENT

"Beim Grünstrom muss sich die Industrie auf traditionelle Stärken besinnen"

Wissenschaftler: Für Deutschlands Anlagenbauer kommt es im Standortwettbewerb bei erneuerbaren Energien auf Innovationskraft an

"Beim Grünstrom muss sich die Industrie auf traditionelle Stärken besinnen"

Verliert Europa seine Führungsrolle bei der globalen Energiewende? Chinas Investitionen in erneuerbare Energien übertreffen bereits das finanzielle Grünstrom-Engagement in Europa. Zugleich ist Europa mit der Organisation des Strommarktes besonders gefordert.- Herr Professor Moslener, 2014 könnte China – das Land mit dem höchsten CO2-Ausstoß – weltweit Spitzenreiter werden bei der Ökostromerzeugung. Was bedeutet der Verlust der Führungsrolle Deutschlands für die Grünstrom-Industrie hierzulande?Schon letztes Jahr haben die Investitionen in Erneuerbare in China die derartigen Investitionen in ganz Europa zusammen in den Schatten gestellt. Ich glaube aber, dass dies für die Investitionen in Erzeugungskapazitäten in Deutschland keine dramatischen Konsequenzen hat. Ganz anders sieht das am Anfang der Wertschöpfungskette aus: Bei den Technologieherstellern etwa von Solarmodulen. Denen macht die günstige Konkurrenz aus Asien das Leben schwer. Das bedeutet für unsere Industrie die Herausforderung, sich auf ihre traditionellen Stärken zu besinnen: Hightech, Know-how und Ingenieurdienstleistungen.- Für den Grünstrom-Boom in China gibt es zwei Gründe: Fördermodelle mit festen Einspeisevergütungen nach dem Vorbild des deutschen Gesetzes zum Ausbau der Erneuerbaren Energien (EEG) sowie stark gesunkene Fertigungskosten zum Beispiel für Solarmodule. Wie wahrscheinlich ist es, dass dem Niedergang der deutschen Solarindustrie ähnliche Entwicklungen in anderen Ökostrombranchen folgen werden?Das muss man auseinanderhalten: Das EEG fördert – auch in China – zunächst die Investitionen in Erzeugung, egal woher die Solarmodule kommen. Bei den Projekten können auch europäische Firmen, Projektentwickler oder Investoren zum Zuge kommen. Die sinkenden Fertigungskosten sind dagegen natürlich eine Konkurrenz zur deutschen Herstellung. Doch Solarmodule sind wirklich nicht das erste Produkt, bei dem deutsche Hersteller mit der Massenproduktion in China Probleme haben. Deswegen: Ja, es wird solche Probleme in allen anderen Branchen geben, wenn Technologien so reif sind, dass sie sich für die Massenproduktion eignen.- Experten kritisieren Einfuhrzölle und raten, die europäische Energiepolitik solle sich auf die Förderung von Handel und Wettbewerb für klimafreundliche Technologien fokussieren. Was sagen Sie?Solche Handelsstreitigkeiten sind hässlich und schwierig. Mir wäre wichtiger, dass die deutsche Hightech- und Beratungsbranche freie und faire Chancen hat, beim chinesischen Boom zum Zuge zu kommen, als dass wir unsere europäischen Solarmodule durch Zölle vom Weltmarkt abzuschirmen versuchen. Natürlich ist das leicht gesagt. Und schwieriger wird es auch, wenn etwa die Produktion der billigen Module aus Asien sehr umweltschädlich ist.- Während China immer mehr in erneuerbare Energien investiert, sinken die Finanzierungen in Europa. Warum? Wie ist der Trend?China wächst insgesamt viel stärker. Dadurch ist es in gewisser Weise auch einfacher, mehr in Wind- und Solaranlagen zu investieren. In China braucht man mehr Energie, hier in Europa muss man bereits existierende Kraftwerkskapazitäten durch Grünstrom ersetzen. Das dauert länger, weil man funktionierende Kraftwerke nicht ohne Weiteres lahmlegen kann. Außerdem ist es mit den technischen Herausforderungen verbunden, sehr viel schwankenden Wind- und Sonnenstrom in ein sehr stabiles Netz zu integrieren. Deshalb bleibt es aus meiner Sicht schon dabei, dass die ganze Welt darauf schaut, wie Deutschland diese Energiewende hinbekommt. Ist der Strommarkt und die dazugehörige Infrastruktur glaubhaft auf einen deutlich höheren Anteil von Erneuerbaren vorbereitet? Diese Frage wollen auch die Investoren für sich beantworten können. Das können sie aber derzeit nicht. Und das muss die Politik beschäftigen.- In Deutschland sind international führende Finanzierer erneuerbarer Energien anzutreffen. Stimmen die Finanzierungsinstrumente? Ist die Risikobereitschaft ausreichend?Ja, sowohl im Bereich der staatlichen als auch der privaten Akteure gibt es hierzulande führende Finanzierer. In beiden Fällen kommen State-of-the-Art-Finanzierungsinstrumente zum Einsatz. Die Risikobereitschaft ist natürlich eine Frage des Geschäftsmodells und der Regulierung. Ein Lebensversicherer darf aus guten Gründen nicht beliebig ins Risiko gehen. Aber was wichtiger ist, ist die Bereitschaft, sich mit den speziellen Risiken auseinanderzusetzen. Es ist nicht allgemein so, dass der Privatsektor an sich risikoscheu ist, sondern in gewisser Weise das Gegenteil: Er möchte Risiken übernehmen, die er am besten beeinflussen kann – und sich dafür bezahlen lassen. Alle anderen Risiken will er versichern. Eine Baufirma wird sich für den Bau und die damit verbundenen Risiken bezahlen lassen, gegen Unwetter oder andere von ihr unkontrollierbare Einflüsse will sie sich aber versichern.- Braucht es mit Blick auf andere Regionen wie China staatliche Unterstützung zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher und europäischer Windkraft- oder Biogasanlagenbauer? Und wie könnte die aussehen?Gegen Maßnahmen, welche die Innovationskraft der europäischen Industrie befördern und Hightech und Know-how nach vorne bringen, habe ich auf Anhieb nichts. Von allem, was darauf abzielt, mittelfristig mit Massenproduktion in Asien konkurrenzfähig zu sein, rate ich ab.- Sinkende Kosten für Wind- und Solarkraftwerke gelten als der Motor für die saubere Energieversorgung der Zukunft. Zugleich darf der Anstieg der Strompreise die Akzeptanz der Energiewende in Deutschland aber nicht gefährden. Wie ist das zu schaffen?Die Kosten für die Anlagen sinken ja schon seit Jahren enorm. Das hilft schon. Ansonsten ist der einfache Strompreis womöglich eine Sache von gestern. Es geht beim Strukturwandel zum Strommarkt der Zukunft eher darum, zwei Dinge zu trennen: einerseits die tatsächliche Strommenge, andererseits die Möglichkeit, zu einem bestimmten Zeitpunkt Strom zu haben. In einem solchen Umfeld dürften vor allem die größeren Verbraucher den neuen Spielraum zur Kostenoptimierung nutzen. Das ist auch ökonomisch sinnvoll, denn die Preise zeigen dann die echten Knappheiten, und das gesamte System wird effizienter.- Die erneuerbaren Energien könnten zur Schlüsselindustrie dieses Jahrhunderts werden, meinen Lobbyisten. Wird das industrielle Potenzial für Deutschland überschätzt?Ja, vielleicht haben wir uns noch nicht ganz von der Vorstellung verabschiedet, langfristig in großem Stil Standardprodukte im Bereich der erneuerbaren Energien am Weltmarkt zu verkaufen. Dennoch halte ich das industrielle Potenzial für enorm. Wir müssen uns aber unbedingt auf unsere Stärken besinnen: Hochtechnologie, intelligente Ingenieursdienstleistungen und wissensbasierte Branchen insgesamt.—-Die Fragen stellte Carsten Steevens.