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Bercow schafft würdevollen Abgang

Von Andreas Hippin, London Börsen-Zeitung, 1.11.2019 John Bercow (56) hat gestern sein Amt als 157. Speaker des House of Commons niedergelegt. Wider Erwarten war dem umstrittenen Parlamentspräsidenten ein würdevoller Abgang vergönnt. Die...

Bercow schafft würdevollen Abgang

Von Andreas Hippin, LondonJohn Bercow (56) hat gestern sein Amt als 157. Speaker des House of Commons niedergelegt. Wider Erwarten war dem umstrittenen Parlamentspräsidenten ein würdevoller Abgang vergönnt. Die regelmäßige Fragestunde des Premierministers wurde diese Woche zum Forum für Lob und Dankesbekundungen. Sie ging deshalb mit Zustimmung des so Geehrten auch deutlich länger als üblich. Allerdings dürfte Bercow – anders als seine Vorgänger – nicht automatisch mit einem Mandat im House of Lords versorgt werden.Dass er bei der Parlamentswahl am 12. Dezember nicht mehr antreten will, war eine weise Entscheidung. Denn seine Partei hatte angedroht, andernfalls einen Gegenkandidaten aufzustellen. Bercow wählte wiederum das Datum seines Abgangs so, dass sein Nachfolger noch vom alten Parlament gewählt wird, in dem Boris Johnson keine Mehrheit hat. Am Montag wird darüber entschieden. Neben Bercows Stellvertretern Eleanor Laing (Tories) und Lindsay Hoyle (Labour) werden auch Harriet Harman (Labour) und Chris Bryant (Labour) als mögliche Nachfolger genannt.Seit einem Jahrzehnt entschied Bercow, worüber abgestimmt wird. Dabei entpuppte er sich nicht nur als schillernde Persönlichkeit. Er hielt auch mit seinen politischen Ansichten nicht hinter dem Berg, obwohl er eigentlich zur Neutralität verpflichtet gewesen wäre – etwa als er vor dem Besuch von Donald Trump erklärte, der US-Präsident sollte nicht vor dem Parlament sprechen. Brexit-Befürworter versetzten vor Kurzem seine Geheimgespräche mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, David Sassoli, in helle Aufregung. Der ehemalige konservative Verkehrsminister Simon Burns nannte Bercow einst einen “dummen, scheinheiligen Zwerg” und weigerte sich bei seiner Vereidigung, ihm die Hand zu schütteln.Als er das Amt antrat, war es durch die starken Mehrheiten von New Labour zwar nicht bedeutungslos geworden, war aber nicht gerade mit großem Prestige verbunden. Das Unterhaus war ein Abnickverein für die Politik von Gordon Brown (Labour). Zudem erschütterte ein Spesenskandal das Ansehen des Parlaments. Bercow sorgte für eine Modernisierung, die sich optisch daran zeigte, dass er die traditionellen Kniebundhosen und Strumpfhosen seiner Vorgänger durch einen Anzug ersetzte. Er gab Hinterbänklern mehr Gelegenheit, zu Wort zu kommen, und entstaubte die Abläufe des altehrwürdigen Gremiums.Ihm eilte jedoch der Ruf voraus, seine Mitarbeiter schlecht zu behandeln. Bercow wies entsprechende Vorwürfe seines ehemaligen Privatsekretärs Angus Sinclair und von dessen Vorgängerin Kate Emms stets zurück. Zudem wurde ihm Eitelkeit vorgeworfen, nachdem er für 37 000 Pfund ein Porträt von sich geordert hatte, das sich unter die Gemälde von seinen Vorgängern einreihen sollte.Anders als viele seiner Parteifreunde besuchte der Sohn eines jüdischen Taxifahrers eine Gesamtschule im Londoner Norden. Während seines Politikstudiums fiel er durch rechte Ansichten auf. Er schloss sich dem Monday Club an, der sich hinter die weißen Herrscher von Rhodesien und Südafrika stellte und Maßnahmen zur Förderung der Repatriierung von Zuwanderern forderte. Später änderte er seine Weltsicht erheblich und setzte sich für die Rechte von Homosexuellen und für den Verbleib in der EU ein.