Coronakrise

Berlin liebäugelt mit russischem Impfstoff

Jens Spahn zeigt sich offen für Sputnik V. Eine Produktion in Deutschland oder anderswo in Europa ist im Gespräch. Zwei Studien zeigen derweil die Kosten der schleppenden Impfungen auf.

Berlin liebäugelt mit russischem Impfstoff

rec Frankfurt

Die Bundesregierung forciert ihre Bemühungen um einen Corona-Impfstoff aus Russland. Laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) laufen bereits Gespräche mit Moskau, den Impfstoff Sputnik V in Deutschland oder anderswo in Europa zu produzieren. „Wir können ja auch Unterstützung geben für die Produktion eines Impfstoffes, der in Europa noch gar nicht oder gar nicht zugelassen ist“, sagte Spahn am Mittwoch bei einer Konferenz.

Spahn griff damit Äußerungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf. Merkel hatte sich am Dienstagabend offen für den russischen Impfstoff gezeigt. Jeder Impfstoff sei in der EU willkommen, aber zugelassen werde er nur, wenn der Hersteller der Arzneimittelbehörde EMA die notwendigen Daten vorlege, sagte Merkel in der ARD. Merkel hat nach eigenen Angaben mit Russlands Präsident Wladimir Putin darüber gesprochen. Nach Kritik an fehlenden belastbaren Studien hatten russische Forscher Details im Fachblatt „The Lancet“ veröffentlicht. Demnach wirkt das Vakzin zu 91,6%. Spahn nannte die Daten ermutigend.

Der Kreml sprach am Mittwoch von einer „sehr wichtigen Veröffentlichung, die die Zuverlässigkeit und Wirksamkeit des russischen Impfstoffes gezeigt“ habe. „In naher Zukunft ist geplant, die Produktion des Impfstoffs auch im Ausland aufzubauen“, sagte Sprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. Der deutsch-russische Vorstoß zielt darauf ab, die Versorgung Deutschlands und der EU mit Corona-Impfstoffen vor dem Hintergrund von Lieferverzögerungen bei anderen Herstellern auszubauen.

Teure Verzögerungen

Berechnungen der Allianz zufolge dürfte der schleppende Impfstart Europas Volkswirtschaften 90 Mrd. Euro Wirtschaftsleistung gekostet haben. Auf eine ähnliche Größenordnung kommt Bloomberg Economics. Guntram Wolff, Direktor der Denkfabrik Bruegel, sagte laut Bloomberg: „Diese Kosten sind viel höher als die Kosten der Impfungen selbst.” Gemessen an der Bevölkerungsgröße impfe Großbritannien viermal schneller, zeigen die Berechnungen der Allianz. Gehe es im gegenwärtigen Tempo weiter, werde Herdenimmunität erst Ende 2022 erreicht. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat das Ziel ausgegeben, über den Sommer 70% aller Erwachsenen in der EU zu impfen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten die Regierungen ihre Impfkampagnen laut Allianz um das Sechsfache beschleunigen.

„In der Impfstoff-Wirtschaft gibt es nur Schwarz oder Weiß“, mahnen die Volkswirte der Allianz um Ludovic Subran: Länder mit zügig voranschreitender Impfkampagne würden „in der zweiten Hälfte 2021 mit starken positiven Multiplikatoreffekten belohnt, die den Konsum und die Investitionstätigkeit kräftig ankurbeln“. Dagegen müssten „Impfnachzügler“ mit erheblichen Kosten rechnen – „sowohl in wirtschaftlicher als auch in politischer Hinsicht”.

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