FLÜCHTLINGSKRISE

Berliner Bewährungsprobe

Es ist immer mit Vorsicht zu genießen, wenn schon Zeitgenossen eine Entwicklung als "historisch" einstufen, noch bevor sie abgeschlossen ist. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach im Bundestag von einer "historischen Bewährungsprobe Europas"....

Berliner Bewährungsprobe

Es ist immer mit Vorsicht zu genießen, wenn schon Zeitgenossen eine Entwicklung als “historisch” einstufen, noch bevor sie abgeschlossen ist. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach im Bundestag von einer “historischen Bewährungsprobe Europas”. Sie meinte die Aufgabe, die sich aus dem enormen Zustrom von Flüchtlingen aus Krisengebieten stellt. Tatsächlich wird noch viel mehr auf eine Bewährungsprobe gestellt: die Haltung der deutschen Gesellschaft, die Koalition in Berlin aus CDU, CSU und SPD sowie die Kanzlerschaft Merkels selbst.Die überhaupt nicht historische, sondern sehr reale Begegnung mit den Menschen, die in Deutschland Zuflucht oder auch nur eine wirtschaftlich bessere Zukunft suchen, lässt die Nerven blankliegen. Bayerns Landeschef und CSU-Vorsitzender Horst Seehofer versucht die politische Verantwortung nach Berlin abzugeben. Er pocht – anders als Merkel – auf eine Höchstgrenze für Einwanderer.Die SPD hingegen stellt sich gegen die von Merkel angestrebten und verniedlichend als “Transitzonen” bezeichneten Orte quer, in denen gleich an der Grenze im Schnellverfahren über den Verbleib der Flüchtlinge entschieden werden soll. Dies wird nicht ohne Zäune und anderes Unerfreuliche wie Kontrolle, Beschränkung und Bewachung gehen. Die SPD spricht nicht zu Unrecht von “Grenzhaftlagern”. Die Basis in der CDU/CSU-Fraktion sieht die Zustimmung der Bevölkerung zur Regierungspolitik schwinden und fürchtet den Machtverlust.Auch die deutsche Gesellschaft tut sich mit der neuen Situation schwer, die sie mit voller Wucht trifft. Eine differenzierte Diskussion würde helfen. Denn es geht um Asylsuchende einerseits und um Zuwanderung aus welchen Gründen auch immer andererseits. Das Grundgesetz schützt das Asylrecht. Deshalb ist dort mit Höchstgrenzen nicht zu operieren. Über die Menge von Zuwanderung darf ein (Einwanderungs-)Land sehr wohl entscheiden. Dies ist auch üblich. Dafür braucht es in Deutschland eine politische Debatte, wen wir wollen und wie viele. Zudem benötigt es taugliche Mechanismen, um Asylberechtigte von reinen Zuwanderern zu unterscheiden. Dies wird nicht ohne hässliche Seiten ablaufen – wie etwa mit Transitzonen. Die Unterbringung der Vielzahl von Flüchtlingen in Städten und Gemeinden wirft auch große Probleme auf. Die Flüchtlingskrise stellt die Koalition auf eine Bewährungsprobe. Sie wird sie bestehen müssen – schon mangels Alternative. An der Wirklichkeit kommt sie dabei nicht vorbei.