Binnenmarkt wird bei Brexit blockiert
Von Stephan Lorz, Frankfurt”Drin heißt drin und draußen heißt draußen”, lässt sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble gerne zitieren angesprochen auf den Brexit, den Austritt Großbritanniens aus der EU. In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Spiegel und in einer Rede vor Manager der Deutschen Bank in Berlin am Freitag hatte er wiederholt, dass London keinen Rabatt und keine Sonderbehandlung erwarten kann, stimmen die Briten mehrheitlich gegen die EU-Mitgliedschaft. Die EU ist nach seinen Worten durchaus darauf vorbereitet, negative Auswirkungen eines Austritts zu mindern. “Wir bereiten uns auf alle möglichen Szenarien vor, um die Gefahren einzudämmen”, sagte Schäuble im Interview.Für die Briten wäre ein Brexit indes nicht folgenlos, warnt er. Das Land sei eng mit den Partnerstaaten verflochten. “Da wäre es doch ein Wunder, wenn ein Ausscheiden Großbritanniens ohne ökonomische Nachteile bliebe.” Und die sind durchaus gewaltig – allein schon aus juristischer Perspektive und den daraus erwachsenden real- und finanzwirtschaftlichen Folgen. Es ist fraglich, ob die Befürworter eines Brexit dieses Feld überschauen.Die Entflechtung startet mit dem förmlichen Austrittsbeschluss des britischen Parlaments. Dann läuft die im EU-Vertrag (Artikel 50) vereinbarte Zweijahresfrist, in der alle technischen Details geregelt werden müssen. Juristen gehen indes davon aus, dass angesichts der engen rechtlichen Vernetzung diese Zeitspanne nicht reichen wird. Es sei schließlich nicht allein damit getan zu klären, was mit den britischen EU-Mitarbeitern passiere, den gemeinsamen außenpolitischen Vertretungen oder dem britischen Kapitalanteil an der EZB. Vielmehr gehe es um unzählige bilaterale und multilaterale Verträge, in denen auf die EU Bezug genommen werde; und schließlich um die grundsätzliche Positionierung Großbritanniens zur EU. Schlicht auf Freihandel zu setzen, wie manche Ökonomen London raten, ist unrealistisch, weil das Land als Mitglied der Welthandelsorganisation WTO jeden Zollverzicht dann allen Ländern einräumen müsste. Die Regeln des ClubsEbenfalls unrealistisch erscheint eine Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) wie Norwegen, müssten doch dann alle EU-Regeln übernommen werden, die London jetzt ablehnt. Man spricht in Oslo von der “golden fax machine”, aus der die Brüsseler Regulierungen hervorquellen, die umzusetzen sind. Recht störrisch würde sich Brüssel auch gegenüber bilateralen Abkommen (wie in der Schweiz) verhalten, denn man hat die Sorge, dass das britische Beispiel sonst Schule machen könnte und weitere Länder aus der EU austreten. “Das kann man nicht ausschließen”, räumt Schäuble ein. Bleibt es beim Brexit, werde Europa aber “zur Not auch ohne Großbritannien funktionieren”.Dreh- und Angelpunkt der Verhandlungen werden dabei für London die Bedingungen sein, unter denen der Zugang zum Europäischen Binnenmarkt gewährt würde. Sperrt sich die EU dagegen, komme es zum “schmutzigen Exit”. In diesem Fall würde London auf einen Schlag alle Handelsvorteile verlieren, die den Standort bisher auch für andere in der Welt attraktiv machen.Das ist insofern realistisch, als Schäuble ausschließt, Großbritannien nach einem Austritt weiter die Vorzüge des EU-Binnenmarkts zu gewähren. “Dazu müsste sich das Land an die Regeln eines Clubs halten, aus dem es gerade austreten will.” Ein Brexit sei auch eine Entscheidung gegen den Binnenmarkt.Aber auch an Europa ginge ein Brexit nicht spurlos vorbei. “Europa wird nach einem Brexit-Beschluss – so oder so – nicht mehr so sein wie vorher”, ist sich Ulrich Wolff sicher, Partner bei Linklaters und Mitglied der firmenweiten EU-Referendum-Group. In welche Richtung das gehen könnte, skizzierte Schäuble bereits. Er lehnte für den Fall eines Erfolgs der EU-Gegner eine stärkere Verlagerung nationaler Kompetenzen auf die EU ab. “Wir können als Antwort auf einen Brexit nicht einfach mehr Integration fordern”, sagt er. Das wäre plump, viele würden zu Recht fragen, ob wir Politiker noch immer nicht verstanden hätten.Doch ein solches Vorgehen würde vor allem der Eurozone schaden, weil sie noch der Stabilisierung durch Vertiefung harrt. Aber offenbar hat Schäuble das bereits längst ad acta gelegt. Denn selbst wenn die Briten mit knapper Mehrheit gegen den Brexit stimmten, meint er, “müssen wir das als Mahnung und Weckruf verstehen, nicht einfach so wie bisher weiterzumachen”.