NOTIERT IN BRÜSSEL

Bitte kommen Sie nicht nach Brüssel!

Es ist ernst. Aber es hat irgendwie auch etwas Tragisch-Komisches und Absurdes an sich: Seit Ende vergangener Woche warnt das Auswärtige Amt vor Reisen nach Brüssel. Nachdem zuvor schon die Nachbarregion Antwerpen wegen stark steigender...

Bitte kommen Sie nicht nach Brüssel!

Es ist ernst. Aber es hat irgendwie auch etwas Tragisch-Komisches und Absurdes an sich: Seit Ende vergangener Woche warnt das Auswärtige Amt vor Reisen nach Brüssel. Nachdem zuvor schon die Nachbarregion Antwerpen wegen stark steigender Neuinfektionen zum Risikogebiet erklärt worden war, gilt dies nun auch für die belgische Hauptstadt. Die Reisewarnung kommt just zu dem Zeitpunkt, wo die deutsche EU-Ratspräsidentschaft so langsam an Fahrt aufnehmen sollte. Die Sommerpause in den EU-Institutionen geht zu Ende. Die ersten Ministerräte stehen auf der Präsidentschaftsagenda. Die Verhandlungen um das 1,8 Bill. Euro-Finanzpaket beginnen. Und eigentlich hofften alle in der Ständigen EU-Vertretung Deutschlands, dass die Zeit der Videokonferenzen ein Ende findet. Dass das Auswärtige Amt gerade jetzt vor Reisen nach Brüssel warnen und damit gehörig Sand in die diplomatische Maschinerie streuen muss – so etwas hätten sich auch EU-Gegner nicht besser ausdenken können. *Ganz praktisch bedeutet diese Einstufung Brüssels als Risikogebiet, dass alle Diplomaten, Politiker und Journalisten, die jetzt im Zuge der Ratspräsidentschaft von hier nach Berlin reisen, erst einmal in Quarantäne müssen, bis sie einen negativen Coronatest vorweisen können. Da gilt es frühzeitig noch in Belgien zu planen, muss man aktuell doch mindestens drei Tage auf sein Ergebnis warten, wenn man sich an den Flughäfen Tegel oder Schönefeld bei Ankunft testen lässt. Getroffen hat dies in dieser Woche schon Teilnehmer und Beobachter des Informellen Treffens der EU-Verteidigungsminister sowie der EU-Außenminister. In der nächsten Woche steht die Tagung der Agrarminister an, Mitte September dann unter anderem ein Treffen der Finanzbranche auf der “Eurofi” sowie im Anschluss die informellen Beratungen der Finanzminister. Aktuell sind dabei weiterhin physische Treffen geplant. Ob dies so bleibt, wird man aber noch sehen. *Allerdings sind umgekehrt auch Reisen nach Brüssel nicht unkompliziert – ganz unabhängig von der jüngsten Einstufung durch das Auswärtige Amt. Jeder, der sich zuvor 48 Stunden oder länger im Ausland aufgehalten hat, muss erst einmal das elektronische Formular “Public Health Passenger Locator Form” ausfüllen und vor seiner Einreise an die belgischen Behörden schicken. Dies dauert nur wenige Minuten. Es gilt aber auch die Einstufungen der europäischen Regionen in grüne, orange und rote Zonen zu beachten. Berlin ist aktuell grün. Aber in Deutschland sind zum Beispiel die Regierungsbezirke Arnsberg, Düsseldorf, Darmstadt, Ober- und Niederbayern als “orange” gekennzeichnet. Ein Coronatest oder eine 14-tägige Quarantäne wird hier zumindest “dringend empfohlen”. Für Brüssel-Reisende aus den roten Zonen ist dies ohnehin Pflicht und damit zum Beispiel auch für Politiker und Diplomaten aus Dänemark, Finnland, Malta, Rumänien, aus vielen Regionen Frankreichs und Spaniens. *Eigentlich nimmt die EU-Politik die Corona-Regeln sehr ernst. Ausnahmen wie die des mittlerweile Ex-Handelskommissars Phil Hogan (vgl. Personenseite) bestätigen da eher die Regel. Von daher erstaunt es, dass ausgerechnet das EU-Parlament bestimmte Extrawürste für sich reklamiert. Kein Abgeordneter, der nach Brüssel einreist, darf durch eine Quarantäne von seiner Arbeit abgehalten werden – auch nicht, wenn er aus einer “roten Zone” kommt. Dies sehen interne Regeln der Personalabteilung für den Fall vor, dass die Abgeordneten “wesentliche Aktivitäten ausführen, die in direktem Zusammenhang mit ihrer Funktion stehen”. Dies berichtete gestern das Onlinemedium “Politico” und zitierte einen Parlamentssprecher, der sich auf die EU-Verträge berief. Einschränkungen würden dem Grundsatz des freien Mandats widersprechen. Zugleich bleiben aber alle Besuche, Ausschussanhörungen, Kulturveranstaltungen etc. des Parlaments bis zum 25. September wegen Corona ausgesetzt. Auch dies ist nicht einfach zu verstehen.