Bittere Pillen für Ursula von der Leyen

Von Andreas Hippin, London Börsen-Zeitung, 9.1.2020 EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die Entscheidung der Briten für den Brexit als "bittere Pille" bezeichnet, die nur schwer zu schlucken gewesen sei. "Aber es sind die Menschen,...

Bittere Pillen für Ursula von der Leyen

Von Andreas Hippin, LondonEU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die Entscheidung der Briten für den Brexit als “bittere Pille” bezeichnet, die nur schwer zu schlucken gewesen sei. “Aber es sind die Menschen, die Politik machen”, sagte sie bei einem Auftritt an der London School of Economics, die sie einst besuchte. “Und die Entscheidung der britischen Bevölkerung im Juni 2016 war klar.” Sie gehe davon aus, dass sowohl das britische als auch das Europäische Parlament die Austrittsvereinbarung abnicken werden. Der 31. Januar werde Großbritanniens letzter Tag als Mitglied der Staatengemeinschaft sein – “ein schwieriger und emotionaler Tag”.Der bitteren Pille von 2016 dürften noch eine ganze Menge folgen. Denn wie sich bereits vor ihrer Begegnung mit Boris Johnson zeigte, lässt sich die neue britische Regierung Zeitplan und Themen der Verhandlungen mit der EU nicht mehr aus Brüssel diktieren. Bereits in der Nacht vor der Ankunft der EU-Kommissionspräsidentin stellte ein Sprecher des britischen Premierministers klar, dass eine Verlängerung der Übergangsfrist über den 31. Dezember hinaus nicht zur Debatte steht. “Nachdem sie mehr als drei Jahre darauf gewartet haben, dass der Brexit über die Bühne gebracht wird, erwarten die Bürger Großbritanniens und der EU zu Recht, dass die Verhandlungen über ein ehrgeiziges Freihandelsabkommen rechtzeitig abgeschlossen werden.” Der Premierminister werde wohl deutlich machen, dass es in den bevorstehenden Verhandlungen um ein ehrgeiziges Freihandelsabkommen gehe, nicht um eine möglichst enge Anpassung Großbritanniens an europäische Standards und Regeln.Das hörte sich ganz anders an als die Versprechungen der Vorgängerregierung, alles dafür zu tun, um einen möglichst reibungslosen Handel mit der EU zu gewährleisten. Mark Carney, der scheidende Gouverneur der Bank of England, sprach sich in seinem Abschiedsinterview mit der “Financial Times” explizit gegen die möglichst enge Anpassung der britischen Finanzaufsicht an die europäische aus. “Es ist überhaupt nicht wünschenswert, unsere Herangehensweisen anzugleichen, unsere Hände zu binden und die Regulierung und effektiv auch die Aufsicht über das weltweit führende komplexe Finanzsystem in eine andere Gerichtsbarkeit auszulagern”, zitiert ihn das Blatt – klare Worte eines erbitterten Brexit-Gegners. Für die Briten geht es inzwischen vor allem um den Handel mit Dienstleistungen, der den Großteil der britischen Exporte auf den Kontinent ausmacht. Die Zeichen stehen auf Divergenz, nicht Konvergenz. Die Partnerschaft zwischen dem Handelsblock und dem Vereinigten Königreich wird nicht mehr so eng sein wie bisher. Mit Blick auf die Schwäche von Johnsons Vorgängerin Theresa May hat so mancher in Brüssel und Berlin zu früh gefeiert. Was wäre nicht alles möglich gewesen, hätte man öfter nachgedacht statt nachgetreten. Nun lockt US-Präsident Donald Trump die Briten mit einem umfassenden Freihandelsabkommen.Um zu bewerkstelligen, was Johnson noch von der EU will, reicht die Zeit bis zum Jahresende allemal. Von der Leyen mag es noch für ” im Grunde unmöglich” halten und – wie einst May – rote Linien ziehen. Aber am Ende wird der EU nichts anderes übrig bleiben, als zu akzeptieren, dass sich Großbritannien aus ihrem regulatorischen Griff gelöst hat. Eine sicherheitspolitische Zusammenarbeit über die Kooperation unter Nato-Ländern hinaus wird es nicht umsonst geben. Und die europäische Industrie wird alles dafür tun, dass der Überschuss im Warenhandel mit Großbritannien nicht kleiner wird.Natürlich wird auch Johnson so manche Kröte schlucken müssen. Anders als seine Vorgängerin hat er jedoch gezeigt, dass er Kompromisse nicht nur aushandeln, sondern auch verkaufen kann. Bei einer Mehrheit von 80 Unterhausmandaten muss er zudem nicht fürchten, dass ihm Hinterbänkler Schwierigkeiten machen.——Brüssel gab bislang bei den Brexit-Gesprächen Tempo und Themen vor. Das ist nun vorbei.——