Geldpolitik

BIZ warnt vor „Inflationspsychologie“ und appelliert an Zentralbanken

Weltweit haben Zentralbanken wegen der hohen Inflation ihre Leitzinsen erhöht wie seit Jahrzehnten nicht und teils wie noch nie. Nun wächst die Sorge, dass sie überziehen und die Konjunktur abwürgen. Die Zentralbank der Zentralbanken BIZ bezieht nun klar Position.

BIZ warnt vor „Inflationspsychologie“ und appelliert an Zentralbanken

Die Zentralbank der Zentralbanken BIZ warnt vor der Gefahr, dass die hartnäckig hohe Inflation weltweit zu einer „Inflationspsychologie“ führt, und plädiert deshalb für einen weiter resoluten Zinskurs der Notenbanken. „Die Arbeit der Zentralbanken ist noch lange nicht erledigt“, heißt es in dem am Sonntag veröffentlichten Jahreswirtschaftsbericht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). Zwar nähmen die Risiken für die Finanzstabilität bei weiter steigenden Leitzinsen kurzfristig zu. Aktuell sei es aber die wichtigste Aufgabe, die Inflation in den Griff zu bekommen, sagte BIZ-Chef Agustín Carstens.

Weltweit ist die Inflation in den Jahren 2021 und 2022 rasant und viel stärker als erwartet angestiegen. Gründe sind die Nachwehen der Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg und die sehr expansive Geld- und Fiskalpolitik der vergangenen Jahre. Die Zentralbanken haben deshalb mit den aggressivsten Zinserhöhungen seit Jahrzehnten reagiert. Zuletzt hat die Inflation vielerorts nun deutlich nachgelassen, auch wenn sie weiter zu hoch ist. Das hat die Debatte über ein Ende des Zinszyklus und sogar baldige Zinssenkungen geschürt – zumal viele Volkswirtschaften schwächeln. Anfang dieser Woche kommen führende Zentralbanker beim traditionellen geldpolitischen Forum der EZB im portugiesischen Sintra zusammen (vgl. BZ vom 23. Juni).

Die BIZ argumentiert nun, dass die bisherigen Erfolge bei der Inflationsbekämpfung zu einem großen Teil der Entspannung der Lieferketten und dem Rückgang der Rohstoffpreise zu verdanken seien. Dagegen seien die Arbeitsmärkte nach wie vor angespannt und der Preisanstieg bei den Dienstleistungen haben sich als schwieriger zu bremsen erwiesen. „Es besteht ein erhebliches Risiko, dass sich eine Inflationspsychologie durchsetzt, bei der sich Lohn- und Preissteigerungen gegenseitig zu verstärken beginnen“, heißt es in dem BIZ-Bericht. Vor allem eine solche Lohn-Preis-Spirale, die die Inflation verfestigt, fürchten viele Notenbanker.

Die Zentralbanken dürften deshalb keineswegs zu früh nachlassen, so die BIZ: „Die Zinssätze müssen möglicherweise länger höher bleiben, als die Öffentlichkeit und die Anleger erwarten.“ In den vergangenen Tagen hatten weltweit Zentralbanken die Märkte mit restriktiven Entscheidungen und Aussagen überrascht. So hatte etwa die US-Notenbank zwar Mitte Juni erstmals seit März 2022 ihren Leitzins nicht erhöht. Dafür signalisierte die Fed unerwartet zwei weitere Zinsanhebungen in diesem Jahr. Ob es tatsächlich so kommt, ist aber offen. BIZ-Chef Carstens hatte unlängst bereits im Interview der Börsen-Zeitung für weiter entschlossenes Handeln der Zentralbanken geworben (vgl. BZ vom 6. Mai).

Die BIZ räumt nun in ihrem Jahreswirtschaftsbericht ein, dass es aktuell einen „einzigartigen Mix“ aus hoher Inflation und Finanzstabilitätsrisiken gebe und dass das Risiko von finanziellem Stress steige, wenn die Zentralbanken die Zinsen stärker erhöhen oder länger hoch halten müssten. Aktuell gebe es dazu aber keine Alternative. „Die wichtigste politische Herausforderung ist nach wie vor die vollständige Eindämmung der Inflation, und die letzte Meile ist in der Regel die schwierigste“, sagte Carstens.

„Die Last lastet auf vielen Schultern, aber die Risiken eines nicht rechtzeitigen Handelns werden langfristig größer sein. Die Zentralbanken sind verpflichtet, den Kurs beizubehalten, um die Preisstabilität wiederherzustellen und die Kaufkraft der Menschen zu schützen“, sagte er. Vergangene Woche hatte auch EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel gesagt, dass es große Kosten und Risiken berge, wenn die Inflationserwartungen erst einmal außer Kontrolle geraten seien. Deswegen sei es besser, aktuell im Zweifelsfall eher zu viel als zu wenig zu straffen (vgl. BZ vom 21. Juni).

Laut BIZ müssen aber auch die Fiskalpolitik und die makroprudenzielle Politik ihren Teil zur Stabilisierung der Wirtschaft und des Finanzsystems beitragen. „Die Regierungen sollten ihre Haushalte straffen und dabei gezielt die Schwächsten unterstützen sowie eine langfristige Konsolidierung ihrer Ausgaben in Angriff nehmen. Dies würde dazu beitragen, die Inflation einzudämmen und die Risiken für die Finanzstabilität in Schach zu halten, da die Zentralbanken die Zinsen nicht länger hoch halten müssten.“

Erst Ende der Woche hatte auch Bundesbankpräsident Joachim Nagel an die Politik in Deutschland und Europa appelliert, den Kampf gegen die Inflation nicht durch eine zu expansive Fiskalpolitik zu erschweren (vgl. BZ vom 23. Juni).

Grenzen der Stabilisierungspolitik

Die BIZ untermauert in ihrem Jahreswirtschaftsbericht zudem ihre Forderung, dass Geld- und Fiskalpolitik die Grenzen ihrer Möglichkeiten stärker anerkennen sollten und es zur langfristigen Förderung nachhaltigen Wachstums vor allem auf Strukturpolitik ankomme. „Die gegenwärtigen Spannungen sind der Höhepunkt eines jahrzehntelangen Verlassens auf die Geld- und Fiskalpolitik als De-facto-Motor des Wachstums. Die Überwindung dieser ,Wachstumsillusion' und die Suche nach einem kohärenten Policy-Mix erfordern ein Umdenken und die Anerkennung der Grenzen der Stabilisierungspolitik“, sagte Claudio Borio, Leiter der Währungs- und Wirtschaftsabteilung der BIZ. Ganz ähnlich hatte sich auch BIZ-Chef Carstens im Interview der Börsen-Zeitung geäußert.

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Zentralbank der Zentralbanken sieht erhebliches Risiko einer Lohn-Preis-Spirale – „Die letzte Meile ist die schwierigste“

ms Frankfurt