Bodenständiger Vermittler
Von Andreas Heitker, BrüsselFür Jean-Claude Juncker ist die Sache klar: Die Europäische Union benötige dringend Führung und Stabilität – Qualitäten, die die neue Ratspräsidentschaft mitbringe. “Europa braucht Finnland”, betonte Juncker am Freitag nach einem Besuch seiner gesamten EU-Kommission in Helsinki. “Erfahren, pragmatisch, bodenständig und kühl” – das sei exakt das, was Brüssel in den kommenden Monaten brauche.Was Juncker gerne verschwiegen hat: Von Erfahrung kann bei der aktuellen finnischen Regierung nicht die Rede sein. Die neue Mitte-links-Koalition unter dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Antti Rinne ist gerade einmal einen Monat im Amt. Dass sie jetzt gleich ein solches Mammutprojekt wie eine EU-Ratspräsidentschaft stemmen muss, ist eigentlich für beide Seiten nicht ideal. Da hilft es, dass die Brüsseler Gesetzgebungsmaschine aktuell gestoppt ist und die Ratspräsidentschaft nur wenig Vermittlungsarbeit zwischen Rat, Kommission und Parlament zu leisten hat. Die Juncker-Kommission lässt ihr Mandat ja so langsam ausklingen. Die neue Kommission ist noch nicht gefunden.Dennoch gibt es drei Themen, die in der EU in der zweiten Jahreshälfte im Fokus stehen: der Brexit, die mittelfristige Etatplanung und die Implementierung der neuen “Strategischen Agenda” für die nächsten fünf Jahre, wie sie im Juni vom EU-Gipfel beschlossen wurde. Aus diesen Prioritäten hat die finnische Regierung auch das Motto für ihre Ratspräsidentschaft gezogen: “Ein nachhaltiges Europa – eine nachhaltige Zukunft” steht über dem Programm. Die EU müsse ihr Profil als globaler Vorkämpfer für den Klimaschutz schärfen, betonte Regierungschef Rinne. Er hofft daher, dass es bis Jahresende eine Einigung auf eine langfristige Klimastrategie gibt, die das Ziel einer Kohlenstoffneutralität bis 2050 beinhaltet. Helsinki will Vorbild seinFinnland hat zugleich beschlossen, als Vorbild aufzutreten und während seiner Ratspräsidentschaft nur einen möglichst kleinen ökologischen Fußabdruck zu hinterlassen. Das heißt: Es wird nicht – wie üblich – zu weiteren informellen EU-Gipfeln geladen, um das Reisen der Delegationen möglichst zu begrenzen. Auch die Anzahl der informellen Ministerräte wird auf ein Minimum beschränkt. Mit dem Geld, das sonst für kleine Geschenke eingeplant wird, sollen die Emissionen von Flugreisen im Zuge der Ratspräsidentschaft zumindest zum Teil ausgeglichen werden.Die vielleicht schwierigste Aufgabe für die Regierung Rinne dürfte sein, einen Kompromiss zwischen den Mitgliedstaaten für den nächsten mittelfristigen EU-Haushaltsrahmen ab 2021 auszuloten. Die Staats- und Regierungschefs haben auf ihrem Juni-Gipfel noch einmal klargestellt: Im Oktober wollen sie einen Vorschlag diskutieren, und im Dezember soll möglichst eine Verständigung über den Sieben-Jahres-Finanzrahmen gefunden werden. Viele in Brüssel halten dieses Ziel für utopisch, weil ja die EU-Einnahmen und -Ausgaben nach dem Brexit nicht nur komplett neu aufgestellt werden müssen, sondern weil auch ein stärkerer Link zu politischen Zielen wie die Rechtsstaatlichkeit oder die Klimapolitik gelegt werden soll.Zugleich soll auch ein eigenes Budget für die Eurozone mit integriert werden, von dem noch niemand die Details kennt. Die frühere finnische Regierung war beim Thema Euro-Budget ohnehin immer skeptisch gewesen und hatte sich auch der Hanse-Gruppe angeschlossen, die unter der Führung der Niederlande das Projekt eher bekämpft hat. Ob die Regierung Rinne künftig in der Eurogruppe und im Ecofin einen etwas gemäßigteren Kurs fährt, muss sich erst noch zeigen.Mit dem Brexit, der nach der Sommerpause wieder verstärkt die europäische Agenda bestimmen wird, hat Finnlands Ratspräsidentschaft erst einmal wenig zu tun. Hier läuft alles über die EU-Kommission und ihren Chef-Unterhändler Michel Barnier. Sollte im Oktober aber wirklich ein harter Brexit drohen, könnten schnell auch finnische Qualitäten wieder gefragt sein – insbesondere Führungsstärke und ein bodenständiger, kühler Pragmatismus.