Boris` Binnenmarktpläne sorgen für Aufregung

Gesetz könnte internationales Recht verletzen

Boris` Binnenmarktpläne sorgen für Aufregung

hip London – Die britische Regierung hat mit ihrem Gesetz zum britischen Binnenmarkt für große Aufregung gesorgt. Premierminister Boris Johnson forderte die Unterhausabgeordneten gestern auf, die Internal Market Bill zu unterstützen, die – aus seiner Sicht – die Integrität des britischen Binnenmarkts schützen, von der EU zurückerhaltene Kompetenzen an Schottland und Wales übertragen und den Friedensprozess in Nordirland bewahren soll. “Ohne diese notwendigen Reformen könnte die Art und Weise, wie wir zwischen unseren Nationen mit Waren und Dienstleistungen handeln, schwerwiegend beeinträchtigt werden”, sagte Wirtschaftsminister Alok Sharma. “Das würde unserer Art, Geschäfte innerhalb unserer eigenen Grenzen zu machen, schaden.”Das insgesamt 54 Seiten umfassende Dokument dient der Übertragung der Austrittsvereinbarung mit der EU in britisches Recht, einschließlich des Nordirland-Protokolls. Dabei wurden Modifikationen vorgenommen, die es der britischen Seite ermöglichen würden, für den Güterverkehr mit Nordirland bereits vereinbarte Regularien nicht anzuwenden, sollten sich beide Seiten nicht auf ein Handelsabkommen einigen. Nordirlandminister Brandon Lewis musste zugeben, dass das Gesetz “in sehr spezifischer und begrenzter Weise” internationales Recht brechen könnte. Die EU-Kommission kündigte an, eine Sondersitzung des für den Brexit-Vertrag zuständigen Ausschusses mit Großbritannien einzuberufen. Antony Blinken, ein außenpolitischer Berater des US-Präsidentschaftskandidaten Joe Biden, und andere Funktionäre der Demokraten mahnten die Einhaltung des Karfreitagsabkommens an, das den Bürgerkrieg in Nordirland beendete. Gemeinsame StandardsDas Gesetz soll sicherstellen, dass der Handel zwischen den vier Nationen England, Nordirland, Schottland und Wales nicht durch Maßnahmen einer Regionalregierung – etwa Regeln zur Lebensmittelsicherheit – behindert werden kann. Es geht darum, gemeinsame Regeln für das gesamte Vereinigte Königreich sicherzustellen, wenn die EU nicht mehr für gemeinsame Standards sorgt. Eine unabhängige Aufsichtsbehörde soll das Funktionieren des Binnenmarkts überwachen. Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon, die bereits bei der Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie eigene Wege ging, schloss juristische Schritte nicht aus, um zu verhindern, dass das Gesetz in Kraft tritt. Es sei ein “Frontalangriff” auf die Übertragung von Kompetenzen an die Regionen (Devolution), sagte Sturgeon und warb zugleich für die Unabhängigkeit Schottlands. Der oberste Jurist der walisischen Lokalregierung, Jeremy Miles, sprach gar von einem “Angriff auf die Demokratie”. Die britische Regierung wolle die Zukunft der Union opfern, um den Regionalregierungen Kompetenzen abzunehmen. In der Downing Street sieht man das anders. Das Gesetz übertrage den Regionen Kompetenzen, die sie nie zuvor besessen hätten, etwa zur Luftqualität, zur Energieeffizienz von Gebäuden oder zu bestimmten arbeitsrechtlichen Fragen, ohne an den bestehenden Kompetenzen zu rütteln. Oppositionsführer Keir Starmer nutzte die allwöchentliche Fragestunde des Premierministers in erster Linie dazu, die Vorgehensweise der Regierung bei der Bekämpfung der Pandemie zu attackieren. Zuvor hatte er Johnson vorgeworfen, bereits beigelegte Streitigkeiten mit der EU wieder auf die Tagesordnung zu setzen.Das Nordirland-Protokoll soll verhindern, dass die neue EU-Außengrenze durch die Grüne Insel zur “harten” Grenze wird. Ulster ist zwar Teil des Zollterritoriums des Vereinigten Königreichs, muss sich aber weiterhin an bestimmte Regularien der Staatengemeinschaft halten. Die Internal Market Bill will den reibungslosen Güterverkehr innerhalb des Vereinigten Königreichs gewährleisten. Ironischerweise handelt es sich in beiden Fällen um einen “Backstop”, um Vorkehrungen, die greifen sollen, falls man sich nicht auf ein Freihandelsabkommen einigen kann. Und darüber wird gerade in London intensiv verhandelt.