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Börsenplattformen für das gute Gewissen sind rar

Von Dietegen Müller, Frankfurt Börsen-Zeitung, 28.8.2019 Börsenbetreiber stellen sich regelmäßig auf den Standpunkt, es sei nicht ihre Aufgabe, die Einhaltung von Standards guter Unternehmensführung oder Umweltschutz zu überwachen. Dies sei Aufgabe...

Börsenplattformen für das gute Gewissen sind rar

Von Dietegen Müller, FrankfurtBörsenbetreiber stellen sich regelmäßig auf den Standpunkt, es sei nicht ihre Aufgabe, die Einhaltung von Standards guter Unternehmensführung oder Umweltschutz zu überwachen. Dies sei Aufgabe der Gesetzgebung und damit der Standardsetzer und Aufseher.In einer Zeit, in der der Begriff “Impact Investing” (vgl. Glossar) oder die “Nachhaltigkeit” von Finanzprodukten öfter in den Mund genommen wird und in der Finanzmarktaufsicht eine wichtigere Rolle zu spielen beginnt, mutet diese Zurückhaltung der Börsenbetreiber nicht mehr ganz zeitgemäß an.Listingplattformen, die ethische Kriterien – oder Nachhaltigkeitskriterien – für Emittenten zugrunde legen, sind zwar als Social Stock Exchanges seit Jahren in verschiedenen Ländern bekannt. Den Durchbruch haben sie aber bisher nicht geschafft. In den USA entstand etwa im Jahr 2010 Mission Markets, ein “finanzieller Marktplatz für die Impact- und Nachhaltigkeits-Gemeinde”, über den Mitglieder Kapital einsammeln oder Umweltkredite handeln konnten. Der Betrieb ist heute offensichtlich eingestellt.2017 wurde ImpactUS gestartet, unterstützt von privaten Gemeindefinanzierungsorganisationen sowie von Stiftungen wie MacArthur, Ford oder Kellogg. Die Plattform setzte Mindestkriterien für die Aufnahme fest. Doch auch ImpactUS ist schon nach acht Monaten wieder eingestellt worden. Das Eigenkapital sei zu gering gewesen, hieß es.Im Jahr 2013 ging dann in London die Social Stock Exchange an den Start, und im Januar 2015 lancierte das Unternehmen zusammen mit der ICAP Securities & Derivatives Exchange (ISDX) – die heute zu Nex Exchange beziehungsweise CME gehört – ein Marktsegment für “Impact”-Unternehmen. Darin aufgenommen wurde etwa die Künstlerorganisation V22 oder Procredit Holding aus Frankfurt. Die Social Stock Exchange betont, sie sei verantwortlich, mit Genauigkeit, Autorität, Unabhängigkeit und Integrität den Zulassungsprozess für “Impact-Unternehmen” oder “Impact-Fonds” zu pflegen. Dazu arbeite sie mit Partnern wie dem Impact Investment Network zusammen. Musterbeispiel TorontoAuch in Kanada existiert eine Social Stock Exchange – die Investmentplattform SVX. “Wir begreifen, dass dies nicht eine Reise ist, die ein Jahr dauert. Es wird eine Generation oder mehr brauchen, um die Transformation zu erreichen, wie wir anstreben”, schreiben die Betreiber. Hinter der SVX stehen unter anderem die Betreibergesellschaft der Börse Toronto, TMX Group, sowie die Regierung der kanadischen Provinz Ontario. SVX ist eine Initiative des MaRS Discovery District, eines Non-Profit-Forschungsparks nahe der Universität Toronto.Die SVX-Plattform, die als sogenannter Exempt Market Dealer (EMD) von der Wertpapieraufsicht Ontario beaufsichtigt wird, “kuratiert” dabei kanadische Anlagemöglichkeiten und bringt Investoren mit Emittenten zusammen. Investiert wird in Privatmarkt-Wertpapiere nach kanadischem Recht. Ermöglicht werden Crowdfunding – also der Kauf von Aktien von Start-ups durch Dritte – sowie Direktplatzierungen. Zugelassen sind qualifizierte Anleger oder Institutionelle sowie – mit einer limitierten Anlagesumme – auch kanadische Einwohner.Auch in Singapur gibt es eine “Impact”-Börse, die IIX (Investment Impact Exchange), die zehn Jahre nach der Gründung rund 1 000 Investoren haben soll. Ein Vorzeigeprodukt der IIX ist der 2017 aufgelegte Women’s Livelihood Bond 1, eine vierjährige Impact-Anleihe über 8 Mill. Dollar, die auch an der Singapurer Börse SGX öffentlich gelistet ist. Weitere Beispiele für “ethische” Börsen kommen aus Brasilien – mit dem Börsenbetreiber Bovespa – und aus Südafrika. Die South African Social Investment Exchange (Sasix) sagt aber nur allgemein, über ihre Plattform sollen Investments angeboten werden, die soziale oder finanzielle Renditen bringen – “oder beides”.Die Schwierigkeit, “ethische” Börsen aufzubauen, ist vergleichbar mit dem Aufbau eines neuen Börsenprodukts. Es braucht sowohl Investoren als auch Emittenten, die bereit sind, an diesem Handelsplatz aufzutreten. Wenn das avisierte Marktsegment zudem eine Nische ist, die sich in einem nichtstandardisierten Bereich bewegt, erschwert dies den Aufbau. So gibt es kein gesetzliches Regelwerk für “Social Stock Exchanges”, und es bleibt offen, welche Aufnahmekriterien gelten oder wer zum Handel zugelassen wird. Auch das World Economic Forum und die Finanzinitiative des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEPFI) haben bereits darauf hingewiesen, dass Effizienz, Transparenz und Skalierbarkeit wichtige Voraussetzungen für einen Erfolg solcher Handelsplätze wären.Auch sind oft die Grenzen zwischen “Impact Investing” und ESG-Anlagen nicht klar. “Neben der Auflage neuer Fonds wird auch verstärkt der Impact bereits vorhandener Nachhaltigkeitsfonds hervorgehoben. Die Grenzen zwischen ursprünglichen Nachhaltigkeitsprodukten und Impact-Produkten verwischen dabei zunehmend”, meint etwa Stefan Fritz, Spezialist für Investmentfonds bei der GLS Bank. Kundenbedürfnisse im BlickAbhilfe schafft hier voraussichtlich die von der Europäischen Union vorgesehene ESG-Taxonomie. Und wie geht die Deutsche Börse damit um? Auf Anfrage heißt es, das Thema Nachhaltigkeit liege ihr “nicht fern” und die Börse sei nahe am Markt, um etwa Bedürfnisse von Kunden zu ermitteln. Zudem sei der Anteil nachhaltiger börsengehandelter Fonds (ETFs) seit zwei Jahren deutlich gestiegen. Der Börsenbetreiber verweist auf den Gesetzesrahmen: Ein privates “nachhaltiges” Segment mit eigenen Listing-Kriterien dürfte deshalb kein Thema sein. Als Mitglied der Sustainable Stock Exchange Initiative (SSE), die eigenen Worten zufolge eine “Lernplattform” ist, auf der ausgelotet werden soll, wie die Transparenz in puncto ESG-Faktoren verstärkt werden könnte, scheint sie eher in der Beobachterrolle zu sein.Ob “ethische” Börsen künftig eine größere Rolle spielen, dürfte auch am politischen Willen liegen. Die frühere HVB-Managerin Karen Wendt ist aufgrund von Interviews mit Marktteilnehmern zum Schluss gekommen, für den Erfolg von Social Stock Exchanges sei – wie in Großbritannien geschehen – die Unterstützung der Regierung notwendig.