Bretonische Proteste weiten sich aus

Hollande fürchtet Ansteckung anderer Regionen

Bretonische Proteste weiten sich aus

wü Paris – Die Protestbewegung in der Bretagne droht außer Kontrolle zu geraten. Nachdem es am Wochenende in der westlichsten Region Frankreichs bei Massendemonstrationen gegen die inzwischen ausgesetzte Ökomaut erneut zu Ausschreitungen gekommen war, stürmten am Montag rund 200 Mitarbeiter des angeschlagenen Geflügelproduzenten Tilly-Sabco den Hof der Unterpräfektur im rund 60 Kilometer nordöstlich von Brest gelegenen Morlaix. Sie protestierten gegen den geplanten Produktionsstopp von Export-Geflügel, der 350 Arbeitsplätze gefährdet.Die sozialistische Regierung von Präsident François Hollande muss inzwischen fürchten, dass die Revolte aufs ganze Land übergreift. Denn der Frust der Bevölkerung über ständige Steuererhöhungen, Massenentlassungen und Fabrikschließungen ist groß. Nach Angaben der Tageszeitung “Le Figaro” warnt der Inlandsgeheimdienst, dass sich die Proteste wie ein Pulverfass entzünden und sich auf andere Regionen ausweiten könnten. Die Regierung gerät dadurch immer stärker unter Druck.Dabei hat sie wegen ihres Zickzack-Kurses zuletzt schon stark an Glaubwürdigkeit und Autorität eingebüßt. Gleich mehrmals nahm sie Entscheidungen zurück, nachdem ihre Pläne für Entrüstung sorgten. Sei es die Ökomaut für Lastwagen, die rückwirkende Erhöhung der Abgaben auf Lebensversicherungen und Bausparverträge oder eine Steuer auf das Betriebsergebnis vor Abschreibungen in Unternehmen: Jedes Mal kam es zu Aufständen – und die Regierung machte aus Angst vor Revolten einen Rückzieher.Hollande, dessen Beliebtheitswert mit 26 % auf einen historischen Tiefstand gesunken ist, wirkt inzwischen so schwach wie nie zuvor. Aus Angst vor Konflikten mit den Gewerkschaften und dem linken Flügel der sozialistischen Regierungspartei scheut er Entscheidungen. Dabei hätte Frankreich die dringend nötig. Denn während die südeuropäischen Krisenländer langsam Fortschritte machen, kommt Frankreich nicht vom Fleck. Die Arbeitslosenquote liegt inklusive der Übersee-Départements bei 10,9 % und dürfte im kommenden Jahr auf über 11 % zulegen. Die Staatsverschuldung beträgt inzwischen 93,4 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP), die Staatsquote 57 % und die Abgabenquote 46 %.Trotz der alarmierenden Situation sind von Hollande jedoch keine grundlegenden Reformen mehr zu erwarten. Ihm fehlt der Rückhalt in der eigenen Partei – und in der Bevölkerung. Statt gegen Gewerkschaften und Beamte vorzugehen, die alle Reformversuche blockieren, sitzt er Konflikte lieber aus und lässt heikle Themen wie die wirtschaftliche Zukunft der Bretagne von Sozialpartnern und bretonischen Politikern ausdiskutieren.Auch Premierminister Jean-Marc Ayrault hat inzwischen so stark an Autorität eingebüßt, dass Hollande nach Ansicht von Beobachtern eigentlich die Regierung auswechseln müsste. Bisher sieht es jedoch nicht danach aus. Stattdessen leugnet Hollandes Umfeld, dass die Regierung geschwächt sei. Spätestens bei den Europa- und Kommunalwahlen im kommenden Jahr dürfte die sozialistische Regierungspartei die Quittung präsentiert bekommen, denn die rechtsextreme Partei Front National profitiert von deren desolater Lage. Ihr werden für die Wahlen gute Aussichten bescheinigt.