Brexit-Deal in weiter Ferne
Die Verhandlungen um ein künftiges Handelsabkommen zwischen der EU und Großbritannien stehen vor dem Scheitern. EU-Unterhändler Michel Barnier setzte eine Frist für weitere Gespräche bis Mittwoch. Gestern Abend kündigten Ursula von der Leyen und Boris Johnson direkte Gespräche an.ahe/hip Brüssel/London – Die Gespräche über einen Post-Brexit-Deal sind weder am Wochenende noch am gestrigen Montag entscheidend vorangekommen. EU-Verhandlungsführer Michel Barnier unterrichtete gestern sowohl die Botschafter der 27 Mitgliedstaaten in Brüssel als auch das EU-Parlament über den Verhandlungsstand. Diplomaten sagten anschließend, es gebe “Anlass zu Pessimismus”. In keinem der drei Hauptstreitpunkte – gleiche Wettbewerbsbedingungen, Fischerei und Streitschlichtung – sei es bislang gelungen, Brücken zu bauen.Vor Europaabgeordneten sagte Barnier nach Angaben von Teilnehmern, es könnte noch bis Mittwoch verhandelt werden – also bis unmittelbar vor dem EU-Gipfel, zu dem sich am Donnerstag und Freitag die Staats- und Regierungschefs in Brüssel treffen. Offiziell auf der Gipfel-Agenda steht das Thema Brexit bislang allerdings nicht. Auch die britische Regierung erklärte, die Zeit sei zwar knapp, aber solange noch welche bleibe, sei man bereit, weiter zu verhandeln.Aus den EU-Mitgliedstaaten waren zunehmend pessimistische Stimmen zu hören: Die Situation sei “sehr besorgniserregend”, sagte der luxemburgische Finanzminister Pierre Gramegna im Rahmen der “Media Days” in seinem Land. Er sei grundsätzlich Optimist. In diesem Fall glaube er aber nicht mehr daran, dass die tiefen Differenzen bei den Schlüsselproblemen in dieser kurzen Zeit noch gelöst werden könnten. Der irische Außenminister Simon Coveney sprach nach dem Briefing von Barnier von “sehr pessimistischen” Nachrichten.In Berlin verwies Regierungssprecher Steffen Seibert darauf, dass der Abschluss eines Handelsabkommens im Sinne beider Seiten sei. Alle Beteiligten hätten ihre roten Linien, müssten aber auch Kompromisse eingehen, forderte er. Die Brexit-Übergangsphase läuft Ende Dezember aus. Langes Telefonat mit JohnsonAm gestrigen späten Nachmittag wollten dann EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der britische Premierminister Boris Johnson in einem weiteren Telefonat noch einmal den Stand der Gespräche bewerten. Nach einer Unterbrechung des Gesprächs teilten beide in einer gemeinsamen Erklärung mit, “in den kommenden Tagen” in Brüssel zu einem “physischen Meeting” zusammenkommen zu wollen. Man sei sich einig, dass die Voraussetzungen für den Abschluss einer Vereinbarung nicht gegeben seien. Nun sollen die Chefunterhändler beider Seiten eine Zusammenfassung der weiterhin strittigen Punkte erstellen. Manche Beobachter in London hielten es zuvor auch für möglich, dass die britische Regierung die EU-Kommission auflaufen lässt, um sich am Donnerstag direkt an die Regierungschefs zu wenden.Bereits in der vergangenen Woche schrieb der ehemalige Außenminister William Hague, ein No-Deal-Brexit sei “viel wahrscheinlicher, als irgendjemand zuzugeben bereit ist”. Vor allem Frankreich schätze den Spielraum Johnsons beim Thema Souveränität falsch ein. Der Streit um den Zugang zu britischen Fischgründen stand in der öffentlichen Auseinandersetzung im Vordergrund, doch waren für London zwei andere Punkte von großer Bedeutung. Einerseits wäre man zwar bereit gewesen, den Status quo bei Arbeitsrecht, Umweltschutz und anderen Themen festzuschreiben. Doch wollte man sich als souveränes Land aber keinesfalls darauf verpflichten lassen, auch künftig alle EU-Vorgaben zu übernehmen. Zudem wollte man dem Europäischen Gerichtshof keine Rolle bei der Governance zugestehen.Mit dem Binnenmarktgesetz, das gestern erneut im Unterhaus diskutiert wurde, will sich London für den Fall eines Scheiterns der Verhandlungen für den Umgang mit Nordirland eine Hintertür offenhalten. Johnson geht es darum, Grenzkontrollen innerhalb Großbritanniens zu vermeiden. An der Verabschiedung des Gesetzes gibt es angesichts der großen Mehrheit der Tories im Parlament keine Zweifel. Allerdings erklärte die Regierung gestern schriftlich, die umstrittenen Passagen zurückzuziehen, sollte es zu einer Einigung kommen.