DAS RINGEN UM DEN BREXIT

Brexit-Deal löst Regierungskrise in London aus

Brexit-Minister Dominic Raab tritt zurück - Nordirische Unionisten lehnen Übereinkunft ab - Theresa Mays Gegner leiten parteiinternes Misstrauensvotum ein

Brexit-Deal löst Regierungskrise in London aus

Die als Durchbruch bei den Brexit-Verhandlungen gefeierte Vorlage eines Entwurfs der Austrittsvereinbarung hat in London eine Regierungskrise ausgelöst. Der für den Brexit zuständige Staatssekretär Dominic Raab trat lieber zurück, als für einen gemeinsamen Auftritt mit Michel Barnier nach Brüssel zu fliegen. ahe/hip Brüssel/London – Der Entwurf für die Austrittsvereinbarung, auf deren Grundlage Großbritannien die EU verlassen soll, hat in London eine Regierungskrise ausgelöst. Unterhändler beider Seiten hatten sich auf das mehr als 500 Seiten starke Dokument geeinigt. Das Kabinett von Theresa May nickte es am Mittwochabend nach fünfstündiger Sitzung ab. Seitdem sind zwei Minister der Regierung zurückgetreten und Mays parteiinterne Gegner haben ein Verfahren zu ihrer Entmachtung eingeleitet. Die nordirischen Unionisten von der Democratic Unionist Party (DUP), ohne deren zehn Abgeordnete May keine Mehrheit im Unterhaus hätte, warfen ihr vor, ihre Versprechen gebrochen zu haben.Mit Dominic Raab hat bereits der zweite Brexit-Minister ihrer Regierung sein Amt niedergelegt. David Davis schmiss hin, nachdem May ihr Kabinett auf ihrem Landsitz Chequers auf einen Kompromiss eingeschworen hatte, den er nicht mittragen wollte. Eigentlich sollte Raab noch am Mittwochabend nach Brüssel fliegen, um mit EU-Verhandlungsführer Michel Barnier den vermeintlichen Durchbruch bei den Brexit-Verhandlungen zu präsentieren. In seinem Rücktrittsschreiben verwies er auf die Gefahren für die Integrität des Vereinigten Königreichs durch das für Nordirland vorgesehene regulatorische Regime. Zudem entsprächen die Vorkehrungen für den Fall, dass man sich über die neue EU-Außengrenze durch Irland nicht einig werde, einem “Hybrid” aus EU-Zollunion und Verpflichtungen gegenüber dem Gemeinsamen Markt. Kein demokratisches Land habe sich bislang auf so etwas eingelassen. Er warnte zudem, dass die Austrittsvereinbarung nach dem Willen Brüssels den Ausgangspunkt für die künftigen Wirtschaftsbeziehungen bilden solle. “Wenn wir das akzeptieren, wird es in der zweiten Phase der Verhandlungen zum schweren Nachteil Großbritanniens geraten”, schrieb Raab. Abstimmung verweigertAuch Arbeitsministerin Esther McVey und fünf weitere Abgeordnete, die Regierungsämter innehatten, wie Shailesh Vara, ein für Nordirland zuständiger Staatssekretär, und Rehman Chishti, der Handelsbeauftragte für Pakistan, legten diese am Donnerstag nieder. McVey hatte der “Daily Mail” zufolge in der Kabinettssitzung zweimal verlangt, abzustimmen. Das sei mit dem Hinweis auf die Konvention abgeblockt worden, dass ein Konsens aus den Diskussionen im Kabinett hervorgehen solle. May konnte sich also nicht sicher sein, dass ihr Kabinett tatsächlich hinter ihr steht, als sie am Mittwochabend vor die Presse trat. Wie nach der Sitzung in Chequers ließ sich das von ihr vermittelte Bild der Einigkeit nicht lange aufrechterhalten.Umweltminister Michael Gove, der zusammen mit Boris Johnson an der Spitze der offiziellen Kampagne für den EU-Austritt gestanden hatte, lehnte dem “Evening Standard” zufolge ab, die Rolle des für den Brexit zuständigen Staatssekretärs zu übernehmen, als sie ihm angeblich nach Raabs Rücktritt angetragen wurde. Rees-Mogg gibt StartschussJacob Rees-Mogg, der Chairman der European Research Group (ERG), gab öffentlichkeitswirksam seine Forderung nach einem Misstrauensvotum bei Graham Brady, dem Vorsitzenden des sogenannten 1922 Committee der Partei ab, das bei der Wahl des Vorsitzenden der Tories eine wichtige Rolle spielt. Nach den Regeln der Partei müssen sich 15 % der Abgeordneten für ein solches Votum aussprechen – also 48. Die Brexiteers gehen davon aus, diesen Wert zu erreichen. Bislang wollten sie die Unsicherheit rund um den Brexit nicht durch einen innerparteilichen Machtkampf vergrößern. Aber mittlerweile sind sie offenbar der Meinung, dass sich die von ihnen abgelehnte Politik und die Person Theresa May nicht voneinander trennen lassen. “Coup ist das falsche Wort”, sagte Rees-Mogg. Das Vorgehen der May-Gegner sei “völlig rechtsstaatlich”. Allgemein wird davon ausgegangen, dass May eine solche Kampfabstimmung überstehen würde. Der ERG, der das klar sein dürfte, wird unterstellt, dass sie auf diese Weise ihre Stärke unter Beweis stellen will. Sie könnte damit demonstrieren, wie viele Abgeordnete der Partei gegen Mays Deal stimmen würden.Die Unterhausabgeordneten stünden vor einer “klaren Wahl”, sagte der DUP-Abgeordnete Nigel Dodds. Sie könnten den Deal ablehnen oder die Zerschlagung des Vereinigten Königreichs zulassen und Großbritannien zum “Vasallenstaat” der EU machen. Er könne die Versprechen von May zur Zukunft Nordirlands auflisten, aber das wäre “Zeitverschwendung, weil sie ohnedies nicht zuhört”. Auf die Unterstützung der DUP sollte May also nicht hoffen.Labour kündigte an, den Deal niederzustimmen. Eine Reihe von EU-freundlichen Tories forderte May auf, ihre Position zu überdenken.