IM BLICKFELD

Brexit-Gegner hoffen auf ein zweites Referendum

Von Andreas Hippin, London Börsen-Zeitung, 1.5.2018 Für die britische Premierministerin Theresa May hat die Woche mit einer weiteren Abstimmungsniederlage im House of Lords begonnen. Eine Vorlage von Viscount Hailsham, die der Regierung auferlegt,...

Brexit-Gegner hoffen auf ein zweites Referendum

Von Andreas Hippin, LondonFür die britische Premierministerin Theresa May hat die Woche mit einer weiteren Abstimmungsniederlage im House of Lords begonnen. Eine Vorlage von Viscount Hailsham, die der Regierung auferlegt, dass die mit Brüssel ausgehandelte Austrittsvereinbarung bis Ende Januar 2019 vom Unterhaus abgenickt und vom Oberhaus diskutiert werden muss, wurde mit einer Mehrheit von 335 zu 244 Stimmen beschlossen. Der Verursacher ist vielen Briten unter seinem Spitznamen “Lord Moat” bekannt, weil Douglas Hogg in seiner Zeit als konservativer Unterhausabgeordneter versuchte, sich die Kosten für die Reinigung des Grabens um Kettlethorpe Hall, den Landsitz der Familie, als Spesen erstatten zu lassen. Was beschlossen wurde, ist ein Zusatz zum “EU Withdrawal Bill”, das zu den Brexit-Gesetzen gehört, die einst in der von der Königin verlesenen Regierungserklärung Theresa Mays angekündigt worden sind. Es soll das Gesetz über die Europäischen Gemeinschaften von 1972 aufheben und zugleich das derzeit gültige europäische Recht zu britischem Recht machen. Danach könnte sich die Regierung die Gesetze nach und nach vornehmen und unerwünschte Vorschriften außer Kraft setzen. Im Grunde handelt es sich um Verwaltungshandeln, das ein rechtliches Vakuum verhindern soll. Bereits vor Jahren wurde der Umfang des sogenannten Acquis Communautaire, in dem das gesamte europäische Recht seit 1958 enthalten ist, auf 80 000 Einzelposten geschätzt. In Großbritannien gelten rund 12 000 Rechtsvorschriften der EU. Das britische Parlament segnete 7 900 Rechtsverordnungen ab, mit denen EU-Recht Gültigkeit verschafft wurde. Hinzu kommen Gesetze, die zu einem gewissen Grad von der Mitgliedschaft in der EU beeinflusst wurden. Das von der Regierung geplante Vorgehen galt unter Juristen vorab als wenig umstritten. Dass mehr als 400 Änderungsvorschläge eingereicht würden, hatte niemand erwartet. Die Regierung hatte bereits im vergangenen Monat im House of Lords zwei bedeutende Abstimmungsniederlagen eingefahren. Eine Mehrheit von 123 Stimmen befürwortete einen Zusatz, in dem die Regierung dazu aufgefordert wird, die Möglichkeiten “einer” Zollunion mit der EU zu erkunden. Es ging dabei wohlgemerkt nicht darum, wie vielerorts falsch berichtet, den Verbleib in der bestehenden Zollunion sicherzustellen, denn das würde dem Wahlprogramm von Labour widersprechen. Pingpong auf BritischEine Mehrheit von 97 Stimmen wollte verhindern, dass sich May mit dem Austrittsgesetz Machtbefugnisse wie einst Heinrich VIII. sichert. Lediglich 245 der 787 Oberhausabgeordneten gehören der konservativen Partei an. Entscheidend ist allerdings, ob die von den Peers vorgenommenen Änderungen vom Unterhaus bestätigt werden. Das unter dem Namen Pingpong bekannte Hin und Her zwischen den beiden Häusern kann missliebige Entscheidungen um bis zu ein Jahr verzögern. Brexit-Gegnern wie dem ehemaligen EU-Handelskommissar Peter Mandelson, dem ehemaligen Wirtschaftsminister Vince Cable oder der Investmentmanagerin Gina Miller gibt die Debatte Gelegenheit, ihrem Unmut über den EU-Austritt erneut Luft zu verschaffen. Bereits im Dezember hatte May ihre erste Abstimmungsniederlage im Unterhaus eingefahren, das nicht nur über größere Kompetenzen verfügt als das Oberhaus, sondern – anders als die Lords, denen ihr Amt zum Teil auf Lebenszeit zugesprochen wurde – auch demokratisch gewählt wurde (vgl. BZ vom 14.12.2017). Dort könnte eine Gruppe von EU-freundlichen Tories der Regierung weitere Nadelstiche beibringen. Ob sie dazu bereit wären, die Premierministerin zu Fall zu bringen, darf aber bezweifelt werden.May hatte den Abgeordneten stets ein “aussagekräftiges Votum” über die mit der EU erzielte Austrittsvereinbarung versprochen. Es müsse aber auf eine Art und Weise erfolgen, die einen “reibungslosen und ordentlichen” Austritt sicherstelle. Brexit-Gegner hoffen, dass die Abgeordneten den Deal, den die Regierung nach Abschluss der Verhandlungen im Herbst vorlegen will, ablehnen und stattdessen die gesetzlichen Grundlagen für ein zweites EU-Referendum schaffen, weil der öffentliche Druck für ein Mitspracherecht der Wähler bis dahin so stark geworden ist. Zwar zeigen Meinungsumfragen, dass sich die Stimmung bislang nicht gedreht hat und das Land weiterhin tief gespalten ist. Die zahllosen Anti-Brexit-Gruppen wie Best for Britain, der britische Landesverband der Europäischen Bewegung, Parteien wie die Liberaldemokraten und die Grünen, sowie Initiativen wie Infacts.org oder Our Future, Our Choice sind dabei, ihre Kräfte zu bündeln. Sollten sie die erneute Volksabstimmung für sich entscheiden, könnte die britische Regierung Brüssel vor dem 29.3.2019 bitten, die Inanspruchnahme von Artikel 50 für nichtig zu erklären. Aus Sicht der Regierung käme es in dem Fall, dass ein solcher Deal niedergestimmt wird, nicht etwa zu weiteren Verhandlungen mit Brüssel, sondern zu einem chaotischen Herausfallen des Landes aus der Staatengemeinschaft. Was die Befürworter des Verbleibs in der EU nämlich außer Acht lassen, sind die Interessen Resteuropas. Dort dürfte sich niemand dafür erwärmen, London die von Margaret Thatcher erkämpften Sonderregelungen und Rabatte erneut zu gewähren. Der Verbleib in der Staatengemeinschaft, so er den Briten denn gewährt würde, wäre mit erheblichen Abstrichen verbunden. Der Verhandlungsführer des EU-Parlaments, Guy Verhofstadt, drückte es einmal so aus: “Wenn Großbritannien seine Meinung ändern würde, fände es eine offene Tür. Aber wie bei Alice im Wunderland sind nicht alle Türen gleich. Es wird eine brandneue Tür sein, zu einem neuen Europa.”