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Brexit - Herausforderungen für Europas Finanzmarkt

Börsen-Zeitung, 12.1.2018 Die Atmosphäre der Brexit-Verhandlungen war anfangs nicht gerade von Empathie geprägt. Britische Sprücheklopferei und europäisches Beleidigtsein traten aber zusehends in den Hintergrund. Die Verhandler auf beiden Seiten...

Brexit - Herausforderungen für Europas Finanzmarkt

Die Atmosphäre der Brexit-Verhandlungen war anfangs nicht gerade von Empathie geprägt. Britische Sprücheklopferei und europäisches Beleidigtsein traten aber zusehends in den Hintergrund. Die Verhandler auf beiden Seiten fanden mittlerweile zu einem sachlichen Arbeitsverhältnis und sogar zu einer gemeinsamen Vertrauensbasis. Dies führte schließlich zum Durchbruch in den Vorverhandlungen und zur Entscheidung des Europäischen Rats, in die zweite Verhandlungsphase einzusteigen.Das ist besonders wichtig in einem Wirtschaftsbereich, der in der Öffentlichkeit zu wenig Aufmerksamkeit gefunden hat: der Finanzwirtschaft. Mit dem Brexit entfällt das sogenannte Passporting, der ungehinderte Zugang der City of London, des europäischen Finanzzentrums, zur EU.80 % aller Kapitalmarktaktivität in Europa finden in London statt oder werden von dort gemanagt. Der deutsche Finanzsektor ist zwar wichtig, trägt jedoch unterproportional zur gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung bei. Deutsche Firmen brauchen also ausländische Finanzierung, und diese kommt im Wesentlichen aus London. Drei Viertel ihrer Beteiligungsfinanzierungen und Anleiheemissionen im Jahr 2015 hatten zumindest einen britischen “Book Runner”, wie es im Finanzjargon heißt.Ein “harter Brexit”, also ein Ausscheiden Großbritanniens aus dem europäischen Regulierungsraum und der europäischen Aufsicht, ein Rückfall auf minimale Handelsvereinbarungen (WTO), hätte katastrophale Auswirkungen. Liquiditätsengpässe drohenZu den direkten Folgen gehört eine erhebliche Behinderung der Kapitalflüsse auf den europäischen Finanzmärkten, welche zu Liquiditätsengpässen führen würde. Eine geografische Verschiebung des Clearings fragmentiert den Markt, was wiederum die Kapitalkosten so weit in die Höhe treibt, dass systemrelevante Probleme entstünden. Dies dürfte Schätzungen zufolge zu 40 bis 50 % höheren Sicherheitsmargen für Banken führen, verbunden mit 20 bis 30 % höheren Ausfallfondsbeiträgen seitens der Kunden. Die Folgen für die Refinanzierung von Banken mit einem hohen Volumen an leistungsgestörten Krediten kann man sich ausmalen.Zu den indirekten Folgen gehört, dass das deutsche Bankensystem und seine Regulierer höhere Finanzierungsrisiken auf sich nehmen müssten, zunächst für die Finanzierung unternehmerischer Aktivitäten deutscher Firmen, aber wahrscheinlich nach einiger Zeit auch für Aktivitäten in anderen EU-Ländern mit höherem Risikoprofil. Selbst wenn Deutschland nie das britische Gesamtrisiko der circa 380 Mrd. Euro in risikogewichteten Anleihen von Kunden aller anderen europäischen Länder erreichen sollte, ist eines klar: Kommt es zu einer Finanzkrise, muss am Ende auch der deutsche Steuerzahler für teure Rettungsprogramme oder Bail-outs aufkommen.Wir haben also ein Interesse daran, Großbritannien weiterhin so eng wie möglich in europäische Regulierungen einzubinden. Während die EU und insbesondere die Eurozone durch Regelharmonisierung und gemeinsame Finanzkontrollgremien zusammenwächst, wird es zunehmend wichtiger, gegenüber Großbritannien eine Abwärtsspirale, ein “race to the bottom”, bei der Finanzmarktregulierung zu vermeiden. Erhöhte Kosten aufgrund unterschiedlicher Regulierungssysteme wären dabei nur eine der unerwünschten Folgen. Aufgrund der starken Verflechtungen der globalen Finanzmärkte könnte ein systemrelevantes Problem in einem Land, zum Beispiel Großbritannien, sich auf weitere Länder in gleichem Maße auswirken. Option HandelsabkommenWelche Art der Kooperation wäre nach dem Brexit am günstigsten für Deutschland? Dies könnte beispielsweise ein breites, vertragsbasiertes, multisektorales Handelsabkommen sein, das auch Finanzdienstleistungen abdeckt. Darin würden sowohl Großbritannien als auch die EU sich darauf verständigen, ihre jeweiligen Gesetze so eng wie möglich zu koordinieren und gegenseitig anzuerkennen. Dies sollte von einer verstärkten Kooperation der Finanzkontrolleure flankiert werden, um etwaige Unterschiede so gering wie möglich zu halten. Großbritannien müsste also europäische Regeln anerkennen, ohne diese mitgestalten zu können, wenn es in Zukunft seine europäischen Handelsbeziehungen beibehalten wollte.Das Problem mit diesem Modell ist durchaus bekannt: Großbritannien müsste weiterhin zum EU-Budget beitragen, die Grundfreiheiten der EU respektieren und sich zu einem Streitbeilegungsmechanismus mit europäischer Jurisprudenz bekennen. Dies würde sicherlich einige der selbst gezogenen roten Linien überschreiten. Diese Kröte müsste Großbritannien jedoch schlucken, statt auf das Versprechen von Boris Johnson zu vertrauen, “den Kuchen essen und ihn gleichzeitig behalten zu können”. Viel steht auf dem SpielNatürlich gibt es auch Alternativen, aber diese sind für Großbritannien noch weniger attraktiv. Eine “enhanced equivalence”, wie aus Finanzkreisen ins Spiel gebracht, also eine politische Verpflichtung, sich an alle gegenwärtigen und zukünftigen Regelungen der Europäischen Union zu halten, selbst wenn man auf ihre Ausgestaltung keinen Einfluss hat und vom politischen Willen der jeweiligen Partner abhängig wäre, ist ein Blankocheck, den keine britische Regierung ausstellen kann. Ein Freihandelsabkommen nach dem Vorbild von CETA würde den Finanzsektor gar nicht betreffen.Es steht also viel auf dem Spiel, nicht nur für Großbritannien, auch für die EU und Deutschland. Wir sollten uns der oben skizzierten Lösungen nicht verschließen, selbst wenn Großbritannien davon überproportional profitiert.—-Thomas Matussek war Botschafter Deutschlands im Vereinigten Königreich und ist heute Senior Advisor bei Flint Global.In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——–Von Thomas MatussekEs gilt, gegenüber Großbritannien eine Abwärtsspirale, ein “race to the bottom”, bei der Finanzmarktregulierung zu vermeiden.——-