Brexit-Votum beflügelt US-Separatisten
det Washington – Das Brexit-Votum weckt Begehrlichkeiten. Hinter den Kulissen schmieden US-Separatisten schon seit Jahren Pläne für einen Austritt aus den Vereinigten Staaten. Nun hat die historische Entscheidung Großbritanniens, die EU verlassen zu wollen, Anhängern einer “Republik Texas”, der Gründung einer “Vermont-Republik” sowie zahlreichen anderen Bewegungen, die für politische Unabhängigkeit plädieren, kräftigen Auftrieb gegeben. Geschürt wird der Enthusiasmus von wachsender Unzufriedenheit mit dem politischen Establishment sowie zwei Präsidentschaftskandidaten, die die meisten Wähler vor die Wahl des kleineren Übels stellen, statt sich als möglicher Favorit hervorzutun.Seit dem britischen Referendum haben in acht US-Staaten separatistische Bewegungen Hochkonjunktur. Besonders optimistisch gibt sich Daniel Miller, Vorsitzender des “Texas National Movement”. “Das Brexit-Votum hat nicht nur bewiesen, dass Texas eine unabhängige Republik sein kann, sondern dass es absolut realistisch und hundertprozentig möglich ist”, sagt Miller. Das Ziel der Organisation: Die vollständige und uneingeschränkte politische, kulturelle und wirtschaftliche Unabhängigkeit seines Heimatstaats.Vor allem ökonomisch gesehen sei der Vorstoß durchaus tragfähig, argumentieren Befürworter eines “Texit”. Schließlich produzierte der an der Wirtschaftsleistung gemessen zweitgrößte US-Staat mehr Waren und Dienstleistungen als Kanada und wäre mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von fast 1,7 Bill. Dollar die weltweit zehntgrößte Volkswirtschaft. Ähnlich sehen es die Vorkämpfer eines unabhängigen Kalifornien, dessen BIP vergangenes Jahr 2,4 Bill. Dollar erreichte und auf der Rangliste der Volkswirtschaften mittlerweile Frankreich vom sechsten Platz verdrängt hat, das direkt hinter dem Vereinigten Königreich liegt. “Wir verfügen fraglos über die ökonomische Potenz, die Infrastruktur und das politische sowie das rechtliche Rahmenwerk, um frei zu sein von den Verpflichtungen, Regularien und Auflagen, die es mit sich bringt, Teil eines Bundesstaats zu sein”, sagt Louis Marinelli, Präsident der “Yes California Independence Campaign”.Der Trend zum Separatismus erfreut sich keineswegs nur in den zwei größten US-Staaten wachsender Beliebtheit. Bereits 2004, als George W. Bush von einem mehrheitlich konservativ besetzten Obersten Gerichtshof zum 43. Präsidenten gekürt wurde – obwohl er 550 000 Direktstimmen weniger als sein demokratischer Kontrahent Al Gore erhalten hatte -, war Vermont nicht allzu weit von einer Abstimmung über einen “Vexit” entfernt. Der Staat im Nordosten der USA ist neben Texas, Kalifornien und Hawaii der einzige, der nach dem Ende der Kolonialzeit politisch und wirtschaftlich autonom war. Nun hat die Bewegung durch den Höhenflug des demokratischen Sozialisten Bernie Sanders frischen Schwung bekommen, der Vermont zu seiner Wahlheimat machte. Besonders gut kommt Sanders’ unverblümte Kritik an dem System der Wahlkampffinanzierung an. Diese stelle sicher, dass Wahlausgänge fast ausschließlich von den Spenden der reichsten Geldgeber beeinflusst werden, die sich von Politikern im Gegenzug Gesetze erwarten, die ihre privaten wirtschaftlichen Interessen begünstigen, so Sanders.Aktive Anhänger einer Abspaltung von den USA gibt es auch in New Hampshire, Hawaii, Alaska und dem pazifischen Nordwesten. Dort machen sich Befürworter einer Sezession für die Gründung der unabhängigen Republik “Cascadia” stark, die aus Washington, Oregon, Idaho, westlichen Gebieten von Montana und ausgerechnet dem kanadischen British Columbia bestehen soll. Austritt verfassungswidrigKritiker verspotten die Ambitionen der Separatisten als naive Hirngespinste. Sie weisen darauf hin, dass diverse politische Ereignisse, etwa die US-Wahl vor zwölf Jahren oder die Finanzkrise, sowie die Unzufriedenheit mit den Kandidaten und dem politischen Establishment vergleichbaren Strömungen immer wieder neues Leben einhauchten. Diese seien nach einigen Monaten aber wieder mehr oder weniger im Sande verlaufen. Zu bedenken sei auch, dass der Oberste Gerichtshof bereits 1869 ein Urteil fällte, das den Austritt eines Staats aus der Union faktisch für verfassungswidrig erklärte. Folglich seien die separatistischen Bewegungen “viel Lärm um nichts”, sagt der Historiker Douglas Brinkley. Die Chancen, dass ein Texit, Vexit oder ein Staat Cascadia jemals zur Realität werden, sei “gleich null”. Immer wieder würden einzelne Gruppen durchzusetzen versuchen, dass die Rechte und Gesetze der Staaten über denen des Bundes stehen, doch mit der politischen Realität habe das nichts zu tun, “das garantiert schon unsere Verfassung”, stellt Brinkley fest.