Finanzsektor

Brisanter Vorschlag zum Lieferkettengesetz

Der Finanzsektor könnte laut einem Kompromissvorschlag auf EU-Ebene außen vor bleiben. In der Wirtschaft hält man das für "völlig inakzeptabel", weil dafür anderen Unternehmen strengere Vorschriften drohen.

Brisanter Vorschlag zum Lieferkettengesetz

Brisanter Vorschlag zum Lieferkettengesetz

Kompromissvorschlag auf EU-Ebene sieht vollständigen Ausschluss des Finanzsektors vor – Chemieverband: Völlig inakzeptabel

Die Diskussion über Sorgfaltspflichten für die Finanzbranche flammt auf: Die spanischen Verhandlungsführer zum EU-Lieferkettengesetz schlagen vor, Banken und andere Finanzdienstleister zunächst auszuklammern. Wirtschaftsverbände schäumen, weil dafür anderen Unternehmen strengere Vorschriften drohen.

rec Brüssel

Die Empfehlung zum hoch umstrittenen EU-Lieferkettengesetz ist so eindeutig wie brisant: Die Verhandlungsführer aus Spanien schlagen den EU-Botschaftern der anderen Mitgliedstaaten vor, "den Finanzsektor aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie auszuschließen". Banken, Versicherer und Vermögensverwalter einzubeziehen könne man durch eine entsprechende Klausel "auf eine spätere Phase verschieben". Dem solle eine "detaillierte Folgenabschätzung" vorausgehen.

Diese Kompromisslinie deutet die spanische Ratspräsidentschaft in einem Dokument an, das der Börsen-Zeitung vorliegt. Sie will die Verhandlungen über das weitreichende Vorhaben vor Weihnachten abschließen. Ihr Vorschlag, um dieses Ziel zu erreichen, hat es in sich: Er läuft darauf hinaus, die von der EU-Kommission lancierten Sorgfaltspflichten mit Blick auf Menschenrechte und Umweltschutz an zentraler Stelle abzuschwächen. Dafür könnten die Vorschriften für andere Sektoren strenger ausfallen.

Erste Protestnoten aus der Wirtschaft zeigen die Brisanz. Berthold Welling, Geschäftsführer Recht und Steuern beim Chemieverband VCI, appelliert: Das Ziel einer raschen Einigung auf EU-Ebene noch vor den Europawahlen dürfe nicht zu schlechten Kompromissen führen, mit denen Branchen gegeneinander ausgespielt würden und der Realwirtschaft Überforderung drohe. Die Ausweitung der Pflichten stehe in krassem Widerspruch zu einer deutsch-französischen Grundsatzerklärung vom Oktober, Unternehmen auf europäischer Ebene deutlich von Bürokratie entlasten zu wollen.

Paris und Berlin uneins

Tatsächlich verläuft eine Konfliktlinie in den Verhandlungen zum EU-Lieferkettengesetz zwischen Paris und Berlin. Die französische Regierung sperrt sich vehement gegen Sorgfaltspflichten für den Finanzsektor. Die Bundesregierung verfolgt einen anderen Ansatz, wie es übereinstimmend heißt: Sie ist zu Abstrichen bei Vermögensverwaltern bereit, will Banken und Versicherer aber in direkten Beziehungen mit Kredit- und Versicherungsnehmern gesetzlich in die Pflicht nehmen.

Mit ihrem Kompromissvorschlag geben die Spanier der Weigerung aus Frankreich nach. Es ist allerdings keinesfalls sicher, dass es so kommt. So weist ein Befürworter umfassender Sorgfaltspflichten, der am Verhandlungstisch sitzt, darauf hin, dass sich die EU-Staaten nach wie vor nicht einig seien. Es habe durchaus Widerstand gegen die nun vorgeschlagene Vorgehensweise gegeben. Formal sei nicht darüber abgestimmt worden.

Beim Chemieverband VCI hat man die Sorge, dass Mitgliedsunternehmen inklusive mittelständischer Betriebe im Gegenzug für Zugeständnisse im Umgang mit dem Finanzsektor zusätzliche Sorgfaltspflichten auferlegt werden. Zudem werde womöglich die zivilrechtliche Haftung verschärft, so die Befürchtung. Das sei "völlig inakzeptabel", sagt Welling vom Chemieverband VCI. "Der Mittelstand wird bereits durch das nationale Lieferkettengesetz massiv belastet und mit kaum erfüllbaren bürokratischen Anforderungen überzogen."

Der Chef des Maschinenbauverbands VDMA, Thilo Brodtmann, fordert: "Die EU sollte aus den Erkenntnissen des deutschen Lieferkettengesetzes lernen und Realitätssinn beweisen." Er meint den Adressatenkreis: Formal sind in Deutschland seit diesem Jahr Unternehmen ab 3.000 Beschäftigten mit Sorgfaltspflichten belegt, ab Januar sinkt die Schwelle auf 1.000. Problem aus Sicht der Wirtschaft: Sie existiert nur auf dem Papier.

Beschwerden von Mittelständlern

Tatsächlich würden die Anforderungen an kleinere Zulieferer aus dem Mittelstand weitergereicht, die damit überfordert seien, klagen Verbände. In Deutschland werde deshalb diskutiert, wie man das Lieferkettengesetz handhabbarer machen kann, so Brodtmann. "Die EU will den anderen Weg einschlagen und die Schwelle bereits bei Firmen mit 500 Mitarbeitenden ansetzen – das wäre ein völlig falsches Signal." Auch das ist Streitpunkt in den laufenden Verhandlungen.

Für Menschenrechts- und Umweltschutzgruppen ist die Sache ohnehin klar: Die EU dürfe nicht "die Chance vertun, leistungsfähige Akteure des Finanzsystems beim Umbau der Wirtschaft zur Klimaneutralität effektiv einzubinden, sagt Laura Niederdrenk, Finanzmarktexpertin beim WWF Deutschland. Schlimmstenfalls drohe ein regulatorischer Flickenteppich, der den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft ausbremse.

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