Briten dürfen EU-Ausstieg einseitig stoppen

Der EuGH sieht Zustimmung aller übrigen Mitgliedstaaten nicht als notwendig an

Briten dürfen EU-Ausstieg einseitig stoppen

ahe Brüssel – Großbritannien kann den laufenden Brexit-Prozess noch einseitig stoppen und benötigt dafür nicht die Zustimmung aller anderen 27 EU-Staaten. Dies entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH). Das oberste Gericht der EU folgte mit seinem Spruch wie erwartet dem Plädoyer des Generalanwalts von letzter Woche. Das Gericht war in dem Fall vom obersten schottischen Zivilgericht um eine Bewertung gebeten worden. Der Richterspruch wird allgemein als Stärkung der Brexit-Gegner gewertet.Ein Rückzieher der Austrittsankündigung sei “in Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlichen Notwendigkeiten” in Großbritannien möglich, so der EuGH. Das gelte so lange, bis ein Austrittsabkommen in Kraft oder die vorgesehene Austrittsfrist einschließlich möglicher Verlängerungen abgelaufen sei. Solange könne die britische Regierung die Brexit-Erklärung einseitig zurücknehmen.London hatte den zweijährigen Austrittsprozess nach Artikel 50 der EU-Verträge am 29. März 2017 gestartet. Ende März 2019 ist damit der Austritt terminiert. Die Europäische Kommission und die EU-Mitgliedsländer hatten vor Gericht argumentiert, das Verfahren lasse sich nur mit einstimmigem Beschluss des Rats der Mitgliedstaaten stoppen. Gemischte Reaktionen Nach dem Spruch der Luxemburger Richter könnte Großbritannien dagegen eine “eindeutige und bedingungslose Entscheidung” zum Verbleib in der EU dem Rat schriftlich mitteilen. Dann bleibe das Land unter unveränderten Bedingungen EU-Mitglied. Ein Rückzieher von der Absicht zum Austritt sei wie diese selbst ein souveräner Akt eines Staates. Würde man die Zustimmung der übrigen EU-Staaten zur Bedingung machen, widerspräche das dem Prinzip, dass kein EU-Land gegen seinen Willen zum Austritt gezwungen werden könne, so die Richter.Die Reaktionen auf das Urteil fielen recht unterschiedlich aus. Der schottische Europaabgeordnete Alyn Smith von den Grünen erklärte, die EuGH-Entscheidung sende eine klare Botschaft an das britische Parlament, “dass es einen Ausweg aus diesem Schlamassel gibt”. Wenn Großbritannien sich umentscheide, sollte die EU das Land wieder mit offenen Armen empfangen.Charles Brasted, Partner der internationalen Kanzlei Hogan Lovells, verwies dagegen darauf, dass das Urteil auch dazu führen könnte, dass sich die Fronten auf beiden Seiten noch einmal verhärten, und Kompromisse noch schwieriger mache. Damit würde der EuGH-Spruch die Wahrscheinlichkeit extremer Ergebnisse wie eines No-Deal-Brexit und/oder eines zweiten Referendums noch einmal erhöhen.Eine Sprecherin der EU-Kommission erklärte, Brüssel gehe unverändert davon aus, dass Großbritannien die EU verlasse. Nachverhandlungen gebe es nicht. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hatte sich noch am Sonntag in einem Telefonat mit der britischen Premierministerin Theresa May über den Stand der Dinge im Brexit-Prozess briefen lassen.Der irische Außenminister Simon Coveney betonte noch einmal, an dem ausgehandelten Vertragswerk müsse auch nach dem Urteil festgehalten werden. Der Deal werde nicht geändert. Der parteilose Europaabgeordnete und Ex-BDI-Chef Hans-Olaf Henkel, der von “good news für Europa” sprach, verlangte dagegen, den Briten nun mehr Autonomie in Fragen der Zuwanderung zuzugestehen. “Die EU muss jetzt ein Angebot machen, um bei einem zweiten Referendum auch tatsächlich eine große Mehrheit der Briten von den Vorteilen der Mitgliedschaft zu überzeugen”, erklärte Henkel.Der SPD-Europaabgeordnete Jo Leinen befürchtet, dass das Urteil in Zukunft noch zu großen Schwierigkeiten führen könnte. Durch das einseitige Rücktrittsrecht werde der austretende Staat zum Herrn über das Verfahren, so Leinen. Einzelne Mitgliedstaaten könnten in schwierigen Verhandlungen mit dem EU-Austritt drohen, um sich durchzusetzen oder sogar Sonderrechte zu erpressen. “Das Brexit-Verfahren darf kein Präzedenzfall werden”, warnte er.