Arbeitsmarkt

Britische Löhne steigen stärker als erwartet

Die starke Lohnentwicklung in Großbritannien in den drei Monaten per Ende April hat Volkswirte überrascht. Dazu trug die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns um fast ein Zehntel ebenso bei wie eine Reihe von erbittert geführten Arbeitskämpfen.

Britische Löhne steigen stärker als erwartet

Britische Löhne steigen stärker als erwartet

Arbeitslosenquote sinkt – Beschäftigung steigt – Weniger Stellen ausgeschrieben

hip London

Die starke Lohnentwicklung in Großbritannien in den drei Monaten per Ende April hat Volkswirte überrascht. Wie das Statistikamt ONS mitteilte, erhöhten sich die Wochenlöhne ohne Sonderzahlungen im Vorjahresvergleich um 7,2%. Das war lediglich ein Zehntelpunkt weniger als der Rekordanstieg von 7,3% im Juni 2021. Ökonomen hatten im Schnitt ein Plus von 6,9% angesetzt. Die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns um fast ein Zehntel trug zum Lohnwachstum ebenso bei wie eine Reihe von Tarifabschlüssen nach erbittert geführten Arbeitskämpfen. Berücksichtigt man allerdings die rasante Teuerung, sind die Löhne ohne Sonderzahlungen um 1,3% gesunken.

In der Privatwirtschaft stiegen die Löhne nominal gar um 7,6%. Auf diesen Wert achten die Notenbanker der Bank of England ganz besonders bei der Ausrichtung ihrer Geldpolitik. In der kommenden Woche am Donnerstag, den 22. Juni, steht die nächste Leitzinsentscheidung der Bank of England an. Die Notenbank hat ihn im Mai bereits das zwölfte Mal in Folge erhöht. Am Markt wird bereits eine Wahrscheinlichkeit von mehr als einem Drittel dafür eingepreist, dass sie ihn gleich um 50 Basispunkte nach oben nimmt. Im öffentlichen Dienst, der von heftigen Streiks erschüttert wurde, stiegen die Einkommen um 5,6% und damit so stark wie in 20 Jahren nicht.

Die Arbeitslosenquote verringerte sich von 3,9% auf 3,8%. Volkswirte hatten dagegen mit einem Anstieg auf 4,0% gerechnet. Erstmals seit dem Ausbruch der Pandemie bewegt sich die Beschäftigung wieder auf dem vor Covid-19 erreichten Niveau. Der Barclays-Volkswirt Abbas Khan sprach von einem „sehr starken“ Beschäftigungswachstum. Die Zahl der Beschäftigten stieg um eine Viertelmillion. Das war vor allem auf einen Rückgang der wirtschaftlichen Inaktivität zurückzuführen, was auf ein größeres Arbeitskräfteangebot hindeutet – ein Anzeichen für eine Entspannung am Arbeitsmarkt.

Langsame Entspannung

Weniger Menschen blieben zu Hause, um sich um Angehörige zu kümmern. Die Zahl der krankheitsbedingt Untätigen stieg dagegen auf ein Rekordhoch. Das ist auf die unhaltbaren Zustände im öffentlichen Gesundheitswesen NHS zurückzuführen, das weiterhin von ohne jede Rücksicht auf Patienten ausgetragenen Tarifauseinandersetzungen gelähmt wird. Die Zahl der offenen Stellen schrumpfte in den drei Monaten per Ende Mai um 79.000 – ein weiteres Indiz für eine Entspannung der Lage, die bislang vor allem von Arbeitskräftemangel geprägt war.

„Der Entspannungsprozess vollzieht sich nicht so schnell, wie wir vielleicht erwartet hätten, zumindest nicht auf Grundlage der heutigen Daten“, schrieben die HSBC-Volkswirte Elizabeth Martins und Chris Hare in einer ersten Einschätzung. „Noch klarer ist, dass die Entspannung, die wir bislang beobachtet haben, keinen wesentlichen Einfluss auf den Lohndruck hat.“ Das lag auch am steigenden Mindestlohn: Der „National Living Wage“ wurde im April um 9,7% erhöht. Davon hätten fast zwei Millionen Menschen profitiert, sagte Andrew Hunter, Mitgründer der Jobsuchmaschine Adzuna, der BBC. Das habe sich „signifikant“ auf die Arbeitsmarktdaten ausgewirkt.

„Die schlechte Nachricht ist, dass sich Arbeit weniger lohnt“, sagte Sarah Coles, die bei Hargreaves Lansdown für das Thema „Persönliche Finanzen“ verantwortlich zeichnet. „Die Löhne bleiben auf schreckliche Weise hinter der Teuerung zurück, was es jeden Monat schmerzhafter macht, die Rechnungen und Hypothekenraten zu bezahlen. Die schlimmere Nachricht ist, dass die Zahl der Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten können, ein neues Rekordhoch erreicht hat. Und die wirklich hässliche Nachricht ist, dass all das Zinserhöhungen wahrscheinlicher macht.“

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