Britische Wirtschaft gab vor Referendum Gas

Umfragen zeugen von großem Pessimismus danach

Britische Wirtschaft gab vor Referendum Gas

hip London – Die britische Wirtschaft hat im abgelaufenen Quartal unerwartet Fahrt aufgenommen. Dabei hatten Volkswirte und Politiker mit Blick auf die Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft am 23. Juni davor gewarnt, dass Unternehmen Investitions- und Einstellungsentscheidungen aufschieben könnten. Wie das Statistikamt ONS mitteilte, expandierte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) von April bis Juni um 0,6 %, nachdem es im Auftaktquartal um 0,4 % gewachsen war. Volkswirte hatten im Schnitt 0,5 % auf der Rechnung. Das Vereinigte Königreich legt traditionell als erstes großes Industrieland die Daten zum BIP vor. Weil lediglich 44 % der Daten in die Erstschätzung eingehen, die dem endgültigen Wert zugrunde liegt, ist noch mit Abweichungen zu rechnen.”Wenn wir den Blick nach vorn richten, rechnen wir als Resultat des Votums für den Brexit damit, dass die britische Wirtschaft unmittelbar in eine flache und anhaltende Rezession eintritt”, schrieben die Volkswirte von Barclays in einer ersten Reaktion. Sie hatten damit gerechnet, dass die Wirtschaft im zweiten Quartal überhaupt nicht wächst, sondern stagniert. Es lägen zwar noch keine harten Daten für das laufende Quartal vor, aber die jüngsten Umfragen unter Unternehmen seien “konsistent mit einer unmittelbaren Schrumpfung der Wirtschaftsleistung”, die potenziell auch stärker ausfallen könnte, als die Bank derzeit annehme. Der Finanzdatenanbieter Markit hatte seine Einkaufsmanagerindizes erstmals in “Flash”-Form vorgelegt, um eine erste Indikation zu den Folgen des Referendums geben zu können (vgl. BZ vom 23. Juli). Der Composite Index schwächte sich von 52,4 Zählern auf 47,7 ab. Das ist der niedrigste Wert seit April 2009. Zählerstände unter 50 zeigen eine Verlangsamung der wirtschaftlichen Aktivität an. Auch eine Umfrage des Unternehmensverbands CBI zeugte von ausgeprägtem Pessimismus der Entscheider.Es gibt allerdings mehr und mehr anekdotische Hinweise darauf, dass sich Unternehmen und Verbraucher angesichts der unklaren politischen Lage nach dem Motto “Keep Calm and Carry On” verhalten. “Seit dem Referendum haben wir keine Veränderungen des Kundenverhaltens oder Auswirkungen auf den Geschäftsfluss beobachtet”, sagte der Chef der Metro Bank, Craig Donaldson, bei Bekanntgabe der Geschäftszahlen für das zweite Quartal. Die japanische Softbank bot nach dem Brexit-Votum 24,3 Mrd. Pfund für den Chipdesigner ARM Holdings aus Cambridge. Die südafrikanische Steinhoff will den Discounter Poundland schlucken. Und der Pharmakonzern GlaxoSmithKline kündigte gestern an, einen dreistelligen Millionenbetrag in seine britischen Standorte zu investieren. Die Minipanik am Gewerbeimmobilienmarkt ist wieder abgeflaut. Ein Teil der vom Handel ausgesetzten offenen Immobilienfonds kann bereits wieder zurückgegeben werden. Unterdessen bot ein saudisch-britisches Konsortium 1,3 Mrd. Pfund für Grosvenor House in der Londoner Park Lane.—– Wertberichtigt Seite 8