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Britisches Atomprogramm fährt hoch

Von Andreas Hippin, London Börsen-Zeitung, 17.10.2013 Nur zwei Jahre nach Beginn der Atomkatastrophe von Fukushima hat die französische EDF den Zuschlag für den Bau des ersten britischen Kernkraftwerks seit 18 Jahren erhalten. London setzt auf...

Britisches Atomprogramm fährt hoch

Von Andreas Hippin, LondonNur zwei Jahre nach Beginn der Atomkatastrophe von Fukushima hat die französische EDF den Zuschlag für den Bau des ersten britischen Kernkraftwerks seit 18 Jahren erhalten. London setzt auf Offshore-Windparks und Atomkraft, um die Ziele des Landes bei der CO2-Vermeidung zu erreichen. Derzeit sind in Großbritannien 16 Reaktoren am Netz. Die Baugenehmigung für den Neubau ist erteilt, aber noch ist das Vorhaben nicht in trockenen Tüchern. Wie die “Financial Times” berichtet, könnte dem endgültigen Beschluss zum Bau der zwei Meiler vom Typ Europäischer Druckwasserreaktor EPR mit einer Leistung von 3 260 Megawatt schnell die Mitteilung folgen, dass die China General Nuclear Power Group in die Reaktoren investiert.Angeblich ist das Unternehmen aus der Volksrepublik an bis zu 49 % interessiert. Eine Bedingung für das Engagement sei, dass China eines Tages allein Atomkraftwerke auf der Insel bauen und betreiben darf. Staatssekretär Ed Davey war im vergangenen Monat ins Reich der Mitte geflogen, um Nuklearfirmen dort zu begeistern. Derzeit trommeln dort Schatzkanzler George Osborne und der Londoner Bürgermeister Boris Johnson für Investitionen auf der Insel. Nur zu gerne hätten sie den Startschuss für das Projekt gegeben. Allerdings gibt es noch keine Einigung mit EDF über den garantierten Abnahmepreis, und auch Brüssel könnte noch für die eine oder andere Verzögerung gut sein. Zuletzt ging 1995 Sizewell B an der Küste von Suffolk ans Netz. Angst vor ChinaKritiker verweisen auf die niedrigen Sicherheitsstandards bei chinesischen Infrastrukturprojekten. Sie befürchten, dass die Atomindustrie der Volksrepublik keine Ausnahme sein wird. Zudem hätte Peking dann die Möglichkeit, den Briten “die Lichter ein- und auszuschalten”, wie Gary Smith von der Gewerkschaft GMB seine Angst vor der Gelben Gefahr formulierte. China seien bereits Teile der Gas- und Wasserversorgung verkauft worden, nun auch noch Atomreaktoren? Für Smith hat das orwellsche Dimensionen.Investoren aus der Volksrepublik schnitten sich allerdings ins eigene Fleisch, wenn sie auf Einnahmen aus der Stromerzeugung in Großbritannien verzichten würden. Einen Grund, den Briten den Saft abzudrehen, gibt es nicht – es sei denn, zwischen beiden Ländern herrschte Krieg. Befürwortern zufolge gibt es auch keinen Grund anzunehmen, dass die britischen Behörden Zustände wie im Reich der Mitte dulden würden. Unter einer strengen Aufsicht spielte es keine große Rolle mehr, ob ein Atomkraftwerk von einem deutschen oder chinesischen Unternehmen betrieben wird.Die Verhandlungen zwischen Regierung und EDF hatten sich an der Frage festgefressen, wie hoch der Abnahmepreis für den in den beiden Reaktoren von Hinkley Point in Somerset erzeugten Atomstrom sein wird. Zudem benötigt EDF für das Vorhaben die Zustimmung der französischen Regierung. Der Versorger befindet sich zu 84 % im Besitz des Staates. In Paris macht man sich Sorgen, dass die Kosten des 14 Mrd. Pfund schweren Bauvorhabens aus dem Ruder laufen könnten.Energieminister Michael Fallon sieht den Deal mit EDF als ersten Schritt, um das zivile Atomprogramm des Landes wieder anzufahren. Nun könnten Verhandlungen über die Horizon-Hitachi-Standorte Wylfa und Oldbury beginnen. Dabei handelt es sich um das ehemalige Joint Venture Horizon, das RWE und Eon im vergangenen Jahr für 700 Mill. Pfund an den japanischen Technologiekonzern verkauft hatten. Hitachi hatte angesichts der zähen Verhandlungen zwischen EDF und Regierung die Planung für Wylfa weiter in die Zukunft verschoben. Neue BauvorhabenInvestoren aus China, Japan und Südkorea wollten ihr Geld in britische Reaktoren stecken, behauptete Fallon im Gespräch mit der “Financial Times”. EDF hätte auch noch Interesse am Bau von zwei EPR-Reaktoren an einem bereits bestehenden Standort in Suffolk. Das von GDF Suez dominierte Konsortium Nugen denkt über ein Vorhaben in West Cumbria nach. Der im Besitz von Toshiba befindliche Kraftwerksbauer Westinghouse steht Medienberichten zufolge kurz vor dem Erwerb des Iberdrola-Anteils an Nugen. Auch die chinesische SNPTC und die französische Areva sollen an einem Einstieg bei Nugen interessiert sein.Auch jenseits des Kraftwerksneubaus ist die Atombranche auf der Insel in Bewegung. Zuletzt wurde der 22 Mrd. Pfund schwere Vertrag der mit Aufräumarbeiten auf dem Gelände der Wiederaufbereitungsanlage Sellafield beauftragten Nuclear Management Partners (NMP) um fünf Jahre verlängert – trotz breiter Kritik an den Leistungen des Konsortiums, dem unter anderem Areva angehört, in den vergangenen fünf Jahren.Die auf Urananreicherung spezialisierte Urenco beauftragte Rothschild als Berater für die geplante Privatisierung des britischen Staatsanteils. Die 1 600 Mitarbeiter zählende deutsch-niederländisch-britische Gruppe hat einen Marktanteil von mehr als 30 %. Neben Großbritannien sind RWE, Eon und die Niederlande beteiligt. Als Kaufinteressenten werden neben der kanadischen Cameco Mitsubishi und Areva gehandelt. Mit Abdul Kadir Khan erlangte jemand, der für einen Urenco-Auftragsnehmer gearbeitet hat, Weltruhm. Er verschaffte Pakistan die Atombombe. Zumindest darüber müsste man sich bei einer Privatisierung keine Sorgen mehr machen.