Britisches Unterhaus stellt sich gegen Boris Johnson

Fast 50 Tory-Abgeordnete brechen Fraktionsdisziplin

Britisches Unterhaus stellt sich gegen Boris Johnson

Von Andreas Hippin, LondonDas britische Unterhaus hat einem Antrag von Brexit-Gegnern zugestimmt, der einer impliziten Drohung von Boris Johnson mit einem überkommenen Herrschaftsinstrument den Schrecken nimmt: der Prorogation. Dabei handelt es sich um eine vorzeitige Beendung der Sitzungsperiode durch ein Machtwort der Queen. Johnson, der Spitzenkandidat für die Nachfolge von Theresa May, hatte nicht ausgeschlossen, dem widerspenstigen Parlament auf diese Weise so lange eine Pause zu verordnen, bis der EU-Austritt vollzogen ist.Ein von Hilary Benn (Labour) und Alistair Burt (Tories) eingebrachter Antrag zum Nordirlandgesetz wurde mit 315 zu 274 Stimmen angenommen. Er schreibt regelmäßige Debatten über die Fortschritte bei der Wiederherstellung einer arbeitsfähigen nordirischen Regionalregierung vor, um eine Prorogation zu erschweren. Der ehemalige Generalstaatsanwalt Dominic Grieve (Tories) wollte vergangene Woche einen ähnlichen Antrag einbringen, Speaker John Bercow setzte ihn aber nicht auf die Tagesordnung (vgl. BZ vom 10. Juli). Dass sich die Anträge der Brexit-Gegner auf das Nordirlandgesetz beziehen, ist mehr oder weniger Zufall. Entsprechende Konstruktionen lassen sich zu nahezu jedem Gesetzesvorschlag basteln, der gerade im Parlament diskutiert wird.Nahezu 50 Tory-Abgeordnete brachen die Fraktionsdisziplin. Davon stimmten 17 für den Antrag, darunter Margot James, die daraufhin von ihrem Amt als für die Digital- und Kreativbranchen zuständige Staatssekretärin zurücktrat. Weitere 30 enthielten sich, unter ihnen Schatzkanzler Philip Hammond, Justizminister David Gauke, Wirtschaftsminister Greg Clark, die Nordirlandministerin Karen Bradley und Entwicklungshilfeminister Rory Stewart.”Die Idee, dass das Parlament im Oktober ausgesetzt werden sollte, zu einer Zeit, in der es immer zusammentritt, dass das Parlament zu einem entscheidenden Zeitpunkt in der Geschichte dieses Landes nicht tagen und seine Meinung, seinen Willen zum Ausdruck bringen sollte, ist ungeheuerlich”, empörte sich Gauke. Großbritannien sei eine parlamentarische Demokratie, und er denke nicht, dass es beim EU-Referendum vor drei Jahren um deren Abschaffung gegangen sei. Johnsons Rivale Jeremy Hunt twitterte, dass es ihm leidtue, dass er die Abstimmung versäumt habe. Er hätte mit der Regierung gestimmt, behauptete der Außenminister. Gut möglich, dass er sich einfach alle Optionen offenhalten wollte.Am Dienstag um 11:00 Uhr britischer Zeit will die Partei das Ergebnis der Mitgliederabstimmung bekannt geben. Das Abstimmungsergebnis zeigt, wie groß der Widerstand sein wird, mit dem sich Johnson auseinandersetzen müsste, sollte er sich, wie weithin erwartet, gegen Hunt durchsetzen. Man könnte auch daraus herauslesen, dass sich der ehemalige Londoner Bürgermeister und seine Verbündeten keine große Mühe gegeben haben, für ihre politischen Vorstellungen zu werben. Und noch etwas ist damit klar: Eine ganze Reihe von Mays Kabinettsmitgliedern wird einer Regierung Johnson nicht mehr angehören. Ihr finanzieller Spielraum ist begrenzt. Die unabhängigen Haushaltshüter des Office for Budget Responsibility rechnen damit, dass sich das Haushaltsdefizit im Falle eines “No Deal”-Brexit mehr als verdoppeln wird.