Brüssel lehnt allgemeine Gaspreisdeckelung ab
ahe Brüssel
Die EU-Energieminister werden auf ihrem Krisentreffen am Freitag in Brüssel wohl nicht nur koordinierte Gewinnabschöpfungen und Einsparungen auf dem Strommarkt beschließen, sondern auch ein ganzes Bündel an neuen Vorschlägen beraten, die die EU-Kommission für den Gasmarkt erarbeitet hat. Wie aus einem sogenannten Non-Paper der Behörde hervorgeht, das am Donnerstag in Brüssel bekannt wurde, lehnt die Kommission dabei eine allgemeine Preisobergrenze ab, wie sie von zahlreichen Mitgliedstaaten gefordert worden war. Befürchtet werden Risiken für die Versorgungssicherheit sowie, dass Drittstaaten weniger Gas in die EU liefern oder Gasflüsse innerhalb der EU unterbrochen werden.
Auch einen möglichen Preisdeckel am europäischen Großhandelsmarkt sieht die EU-Kommission kritisch. Dafür müsse ein zentralisiertes System geschaffen werden, um den Markt zu ersetzen und Gas zu rationieren und zuzuteilen. Das wäre „beispiellos“, hieß es in dem Papier. Es gebe keine Organisation auf europäischer Ebene, die das zurzeit technisch regeln könne.
Insgesamt 15 EU-Staaten – unter ihnen auch Frankreich und Italien – hatten Brüssel in den vergangenen Tagen in einem Brief dazu aufgefordert, einen Vorschlag für eine generelle Obergrenze für Gas zu erarbeiten. Deutschland lehnt diese allgemeine Deckelung ab, würde aber wohl wie die meisten anderen EU-Staaten eine allgemeine Einkaufsplattform für Gas unterstützen, die ebenfalls Teil der Kommissionsvorschläge ist. Die EU-Energieminister werden diese Vorschläge am Freitag beraten. Entscheidungen werden aber noch nicht erwartet.
EU-Energiekommissarin Kadri Simson, die ebenfalls an der Sitzung teilnimmt, stellte am Donnerstag klar, dass für sie Preisobergrenzen in bestimmten Bereichen der Gasmärkte denkbar wären. „Wir müssen entlang der gesamten Wertschöpfungskette arbeiten“, betonte sie. Zunächst müsse die EU aber mit ihren zuverlässigen Lieferanten von Pipeline-Gas verhandeln. Bringe dies keine Ergebnisse, sei hier eine Preisdeckelung möglich. Sie sei auch der festen Überzeugung, „dass wir eine Preisobergrenze für alle russischen Gasimporte brauchen“ – und zwar auf einem Niveau, das es für Russland immer noch attraktiv mache, nach Europa zu exportieren. Simson hält auf EU-Ebene eine Preisdeckelung für Gas, das in der Stromerzeugung eingesetzt wird, ebenfalls für sinnvoll, da dieser Preis den tatsächlichen Strompreis für Verbraucher bestimme.
Der Brüsseler Thinktank Bruegel warnte in einer neuen Studie vor den Risiken von Gaspreisobergrenzen: Eine Deckelung nur für russisches Gas könne zu einem vollständigen Lieferstopp des Kreml führen, hieß es. Eine Obergrenze für Gas in der Stromproduktion könne die Gasnachfrage in diesem Sektor erhöhen, und auch eine Deckelung für das gesamte Großhandelsgas könne die Gasnachfrage erhöhen sowie die Fähigkeit Europas untergraben, dringend benötigte Gaslieferungen anzuziehen. Bruegel plädierte für Verhandlungen mit externen Gaslieferanten über neue Langfristverträge.
Appelle der Wirtschaft
Zahlreiche Wirtschaftsverbände appellierten unterdessen im Vorfeld der Energieminister-Beratungen noch einmal dringend an die Politik, etwas gegen die hohen Preise zu unternehmen. Der europäische Industrie-Dachverband Business Europe verwies in einem Brandbrief unter anderem an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Schätzungen, wonach 70% der europäischen Düngemittelproduktion eingestellt oder verlangsamt und schon 50% der gesamten Aluminiumkapazität verloren gegangen seien. Es bestehe die reale Gefahr, dass Unternehmen und insbesondere energieintensive Industrien ihren Standort dauerhaft außerhalb Europas verlagerten. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl erklärte, hochgerechnet auf das Gesamtjahr lägen die Mehrkosten für Strom und Gas in den Stahlunternehmen in Deutschland derzeit bei rund 10 Mrd. Euro. Das sei rund ein Viertel des durchschnittlichen Jahresumsatzes der Branche.