Brüsseler Schelte fällt milder aus

EU rügt erneut deutschen Leistungsbilanzüberschuss, lobt aber zugleich Anstieg öffentlicher Investitionen

Brüsseler Schelte fällt milder aus

Deutschland provoziert mit seinem anhaltend hohen Leistungsbilanzüberschuss wieder einmal Kritik der EU-Kommission. Da Deutschland stärker in Infrastruktur investiert, hält sich der Unmut der EU-Volkswirte jedoch in Grenzen. Die Bundesregierung muss dennoch fürchten, dass sie sich wegen des Überschusses Vorwürfe einhandelt. Schließlich ist die US-Regierung bei diesem Thema auf Krawall gebürstet.fed Frankfurt – Deutschlands Leistungsbilanz hat nach Berechnungen der EU-Kommission auch im vergangenen Jahr ein üppiges Plus ausgewiesen – sogar noch einen Tick größer als zwölf Monate zuvor (siehe Grafik). Da der Überschuss somit noch deutlicher über der Schwelle von 6% der Wirtschaftskraft lag, ab der die Ökonomen der EU-Kommission von einem stabilitätsgefährdenden Ungleichgewicht sprechen, muss sich die Bundesregierung auch in der diesjährigen makroökonomischen Länderanalyse der EU Kritik gefallen lassen.Zwar spiegele sich darin auch die Stärke der deutschen Industrie wider. “Allerdings kann weder die Höhe noch die Beständigkeit allein durch fundamentale Faktoren erklärt werden”, beanstandet die EU-Kommission. Vielmehr komme im hohen Leistungsbilanzüberschuss auch eine “Investitionsschwäche” in Deutschland zum Ausdruck. So stagnierten beispielsweise seit Jahren die Bauinvestitionen außerhalb der Wohnungswirtschaft, bemängeln die EU-Ökonomen. Dies wiederum habe negative Folgen für die Euro-Nachbarn, beklagt die EU-Behörde. Denn die Entwicklung des Wachstums in der Eurozone hänge maßgeblich an einer stärkeren Binnennachfrage in Deutschland. Fortschritte bei InfrastrukturBei aller Kritik fällt die – mittlerweile ja fast schon routinemäßige – Schelte milder aus als in den Vorjahren. Denn die EU-Behörde erkennt gleichzeitig ausdrücklich an, dass sie durchaus “einige Fortschritte” in Deutschland registriere. So wird der Bundesverkehrswegeplan 2030 gelobt, der einen “deutlichen Anstieg der Investitionen in die Infrastruktur” vorsehe. Zudem seien “die Bedingungen für öffentliche Investitionen auf allen Regierungsebenen” verbessert worden. Und auch der Zugang zu Risikokapitalfinanzierungen sei spürbar einfacher.Die Bundesregierung wird sich über diese etwas wohlmeinendere Beurteilung ihrer volkswirtschaftlichen Bilanzen jedoch nicht so recht freuen können. Denn während die Kritik aus Brüssel etwas nachlässt, gewinnt sie von anderer Seite an Schärfe.Die neue US-Regierung scheint sich auf Deutschlands Exportüberschuss einzuschießen. Anfang Februar keilte Donald Trumps handelspolitischer Berater Peter Navarro bereits kräftig gegen die Bundesregierung. Sie nutze eine seiner Meinung nach merklich unterbewertete Gemeinschaftswährung, die er als “implizite D-Mark” bezeichnete, um sich auf Kosten der USA Vorteile im Handel zu sichern. Gestern schlug US-Finanzminister Steven Mnuchin in die gleiche Kerbe. Der frühere Goldman-Banker und Hedgefonds-Manager forderte den Internationalen Währungsfonds auf, die Wechselkurspolitik “offen und ehrlich” zu analysieren und das Problem globaler Ungleichgewichte anzugehen. Deutsche Industrie kontertDeutschlands Leistungsbilanzüberschuss taugt derweil nicht nur international als Aufregerthema, sondern erzürnt auch die Gemüter in Deutschland. So meldete sich gestern umgehend der Bundesverband der Deutschen Industrie zu Wort. BDI-Präsident Dieter Kempf unterstrich, dass Europa von der deutschen Exportstärke profitiere, da jeder zusätzliche Euro Ausfuhren 90 Cent höhere Vorleistungseinfuhren nach Deutschland bedeute.Der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold wiederum bedauerte, dass die EU-Kommission ihre Regeln nicht konsequent anwende. Seiner Ansicht nach muss sie ein Verfahren wegen Deutschlands hohem Überschuss beschließen, da er “das ordnungsgemäße Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion gefährdet”.