ANSICHTSSACHE

Bund-Länder-Finanzverhandlungen brauchen Bewegung

Börsen-Zeitung, 2.10.2014 Wir treten auf der Stelle. Alle zusammen und das schon ziemlich lange: Die Länder und der Bund kommen bei ihren Gesprächen zur Neuordnung ihrer Finanzbeziehungen nicht voran. Kein Wunder, wenn man sich die unterschiedliche...

Bund-Länder-Finanzverhandlungen brauchen Bewegung

Wir treten auf der Stelle. Alle zusammen und das schon ziemlich lange: Die Länder und der Bund kommen bei ihren Gesprächen zur Neuordnung ihrer Finanzbeziehungen nicht voran.Kein Wunder, wenn man sich die unterschiedliche Ausgangslage und die komplexe Interessenvielfalt, die nicht nur zwischen dem Bund und der Ländergesamtheit, sondern auch zwischen einzelnen Ländern besteht, vor Augen führt. Einhaltung der Schuldenbremse, Länderfinanzausgleich, der Umgang mit Altschulden, die Zukunft des Solidaritätszuschlags – gerade bei diesen Kernthemen prallen die unterschiedlichen Vorstellungen hart aufeinander, die Herausbildung eines kleinsten gemeinsamen Nenners ist gegenwärtig auch noch nicht ansatzweise in Sicht.Die Reflexe funktionieren – Formulierung von Maximalpositionen mit anschließender Verschanzung in einem argumentativen Schützengraben -, bringen uns aber nicht weiter. Fortschritt wird sich nur erreichen lassen, wenn alle bereit sind, sich aufeinanderzuzubewegen und auch Abstriche an den jeweiligen Partikularinteressen hinzunehmen. Dies gilt für Bund und Ländern gleichermaßen.Ein wesentliches Faktum für die Neuordnung ist das ab 2020 für die Länder bindende Neuverschuldungsverbot. Der Bund hat wegen seiner Außenverantwortung bei der Erfüllung europarechtlicher Verpflichtungen ein berechtigtes Interesse daran, dass es ein Instrumentarium gibt, das die dauerhafte Einhaltung der Schuldenbremse sichert. Ein Kompromiss zwischen der verfassungsrechtlich garantierten Haushaltsautonomie der Länder einerseits und erweiterten Kontroll- und Einwirkungsmöglichkeiten des Stabilitätsrates andererseits ist geboten. Hier werden sich die Länder bewegen müssen. Im Gegenzug wird aber der Bund seine Verantwortung anerkennen müssen, die Länder finanziell so weit zu stärken, dass allen die Einhaltung der Schuldenbremse finanziell möglich wird. Solidaritätszuschlag aufteilenWir sollten daher über den Solidaritätszuschlag reden. Für 2019 kann der Bund hier mit einem Aufkommen von rund 18 Mrd. Euro rechnen. Schon aus steuerpolitischen Gründen dürfte aber eine unveränderte Fortführung des Soli nach 2020 nicht in Frage kommen. Eine Entlastung der Steuerpflichtigen zumindest um die Effekte der kalten Progression wird anzuraten sein. Eine verfassungsfeste Lösung etwa wäre die Integration des danach verbleibenden Aufkommens in die Steuertarife der Einkommen- und Körperschaftsteuer. Hier muss freilich sichergestellt werden, dass keine Mehrbelastung der Bürger entsteht.Ländern (und Kommunen) würde das 8 bis 10 Mrd. Euro bringen. Damit wäre aber noch nicht die Frage beantwortet, wie die speziellen Finanzierungsprobleme einzelner Länder zu lösen sind. Gerade diese horizontale Verteilung aber hat sich bislang als das Hauptproblem der laufenden Verhandlungen erwiesen.Ergänzend oder alternativ sollte daher über einen zielgerichteten Einsatz dieser 8 bis 10 Mrd. Euro nachgedacht werden. Für eine Gesamtlösung, die sowohl eine effiziente vertikale Aufgabenverteilung sicherstellt, allen Ebenen die Einhaltung der Schuldenbremse ermöglicht und zu einem fairen Interessenausgleich unter den Ländern führt, kämen drei aufeinander aufbauende Schritte in Frage: Wichtig wäre die stärkere Entflechtung von abgegrenzten Aufgabenbereichen und eventuell die Gewährung von größeren Gestaltungsspielräumen der Länder. Hier wären in einem ersten Schritt Maßnahmen denkbar, die lediglich begrenzte Umverteilungswirkungen haben. Als Beispiel könnte die Übernahme des (restlichen) Wohngelds durch den Bund gegen den Verzicht der Länder auf Fortführung der Entflechtungsmittel im Bereich Wohnungsbauförderung genannt werden.Andere notwendige Entflechtungsmaßnahmen in einem zweiten Schritt würden dagegen sowohl vertikale wie vor allem horizontale Verteilungswirkungen entfalten. Hier könnte der Bund durch die Übernahme von bisherigen Mischfinanzierungen – und damit eine weitere Entflechtung – einzelne Länder überproportional entlasten. Dies trifft besonders im Sozialbereich, z. B. bei den Kosten der Unterkunft zu. Finanzhilfen für SchwacheDie bei diesen Schritten zu erwartenden überproportionalen Entlastungen einzelner Länder dürften den dritten und schwierigsten Schritt, der die Reform des Länderfinanzausgleichs (LFA) mit einschließen muss, erleichtern helfen. Dabei können und sollten die zusätzlichen Mittel der Ländergesamtheit von 8 bis 10 Mrd. Euro durchaus in wesentlichen Teilen zur Abdeckung von Forderungen der verschiedenen finanzschwachen Länder eingesetzt werden. Ich denke hier besonders an – gegebenenfalls mit dem Bund gemeinsam zu schulternde – Zinshilfen für besonders hoch verschuldete Länder, an eine modifizierte Weiterführung der Sonderfinanzierung der ostdeutschen Länder sowie an Infrastrukturhilfen für finanzschwache Regionen in Ost und West.Eines kann dann jedoch keinem Zweifel unterliegen: Im Sinne eines Kompromisses muss auch die dringend gebotene Vereinfachung des komplexen Finanzausgleichs und die Entlastung der drei verbliebenen LFA-Zahlerländer in dem Paket enthalten sein. Ohne diesen essenziellen Schritt wird es keinen Schulterschluss zwischen den Ländern geben, der wiederum Voraussetzung dafür ist, in den Verhandlungen mit dem Bund zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen.Diese Schritte bieten aus meiner Sicht die Chance, Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen zu bringen. Am Ende muss ein Ergebnis stehen, das die Eigenstaatlichkeit und Eigenverantwortung von Bund und Ländern stärkt, ohne dass die notwendige Solidarität aus dem Auge verloren wird. Diese Chance zur Erneuerung des bundesstaatlichen Finanzgefüges gilt es zu nutzen.——Dr. Thomas Schäfer (CDU) ist Finanzminister in Hessen.In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——–Von Thomas SchäferIm neuen föderalen Finanzregime müssen die Länder mehr Etatkontrolle akzeptieren. Der Bund aber muss sie finanziell stärken.——-