Bund zieht die Notbremse
sp Berlin
Rund zwei Wochen ist es her, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den 16 Ministerpräsidentinnen und -präsidenten in verbindlichem Ton unmissverständlich drohte: „Ich werde jedenfalls nicht zuschauen, dass wir 100000 Infizierte haben“, sagte Merkel in der ARD mit Blick auf das rasch Fahrt aufnehmende Infektionsgeschehen und kündigte an, die Anfang März von Bund und Ländern beschlossene „Notbremse“ zur Eindämmung der Pandemie notfalls mit Hilfe des Infektionsschutzgesetzes zu ziehen, sollten die Länderchefs die Beschlüsse nicht rigoros umsetzen. Am Freitag ließ die Bundesregierung dieser Ankündigung Taten folgen. Die für Montag geplante Bund-Länder-Runde wurde abgesagt, nachdem sich kein einheitlicher Kurs der Länder beim Umgang mit der Notbremse abgezeichnet hatte. Stattdessen will das Kabinett in einer vorgezogenen Sitzung am Dienstag eine bundeseinheitliche Regelung der Notbremse auf den Weg bringen, die nach Möglichkeit bis zum Wochenende im Parlament verabschiedet werden soll und den Bundesrat passieren könnte, sofern die Länderkammer zu einer Sondersitzung zusammenkommt.
„Bund und Länder haben sich heute in enger Absprache mit den Bundestagsfraktionen darauf verständigt, das Infektionsschutzgesetz zu ergänzen, um nun bundeseinheitlich zu regeln, welche Beschränkungen zu ergreifen sind, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz in einem Landkreis über 100 liegt“, erklärte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer in Berlin. Ziel sei es, bundeseinheitliche Regelungen zu schaffen. Da Bund und Länder gemeinsam das Gespräch mit dem Bundestag und den Bundestagsfraktionen suchten, sei ein schnelles Vorgehen ermöglicht.
Die Zeit drängt
Dass die Zeit drängt, machten am Freitag einmal mehr Gesundheitsminister Jens Spahn und der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, deutlich. Sie warnten vor einer Überlastung des Gesundheitssystems. „Wenn wir nicht in einen Lockdown gehen, wenn wir die Mobilität nicht stärker einschränken, dann werden die Zahlen steigen, dann werden viele Menschen ihr Leben verlieren“, warnte Wieler. Die jüngsten Erfolge der Impfkampagne (siehe Grafik) änderten daran nichts. „Es braucht einen Lockdown“, sagte Spahn und kritisierte, dass einige Ministerpräsidenten den Ernst der Lage nicht begriffen hätten. „Mich erinnert dies an Oktober vergangenen Jahres“, sagte er. Auch damals, zu Beginn der zweiten Coronawelle, habe die Kanzlerin für einen härteren Kurs der Länder geworben, der erst mit Verzögerung beschlossen wurde. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hatte erst am Donnerstag betont, er sei gegen einen bundesweiten Lockdown, weil sich die Lage in Niedersachsen entspanne. „Es kann nicht sein, dass man sich durch niedrige Zahlen über einige Tage irritieren lässt“, hielt Wieler dem entgegen. Es zeige sich in allen Ländern, dass ein kurzer, harter Lockdown die besten Erfolge zur Reduzierung der Infektionszahlen bringe. Einzige verlässliche Zahl sei derzeit die täglich steigende Zahl der Corona-Intensivpatienten.
Nur weil der Bund die einheitliche Regelung der Notbremse selbst übernimmt, heißt das noch nicht, dass sie schneller einsatzbereit ist. Erst muss geklärt werden, was alles unter die Notbremse fallen soll, die bisher auch die Rücknahme von Öffnungsschritten vorsieht. „Abstandsgebote, Maskenpflicht, Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen sollten bundeseinheitlich geregelt werden“, hatte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) gesagt. Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) hat dagegen auch bundeseinheitliche Regeln für Schulen und Ausgangsbeschränkungen im Sinn.
Zustimmung der Opposition
Einig scheinen sich Bund und Länder, dass Letztere unterhalb von 100 Neuinfektionen pro 100000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen selbst über Modellprojekte mit Lockerungsschritten entscheiden können. Von der Opposition deutete FDP-Chef Christian Lindner ebenso wie die Grünen eine generelle Bereitschaft für eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes an. Aus einer Notbremse dürfe aber kein Anlass „für einen unverhältnismäßigen Lockdown werden“, warnte er.