"Kranker Mann"?

Bundesbankchef gibt sich für Wirtschaft zuversichtlich

Deutschland gilt vielen Beobachtern schon wieder als "kranker Mann" Europas oder sogar der Welt. Neue Prognosen stützen solche Sorgen. Bundesbankpräsident Joachim Nagel aber widerspricht.

Bundesbankchef gibt sich für Wirtschaft zuversichtlich

Bundesbankchef gibt sich für Wirtschaft zuversichtlich

Nagel: Schwächephase nicht primär struktureller Natur – Erholung im Jahr 2024 – Große Herausforderungen voraus

ms Frankfurt

Bundesbankpräsident Joachim Nagel hat sich noch einmal entschlossen gegen Einschätzungen gestemmt, dass Deutschland wirtschaftlich wieder der „kranke Mann“ Europas sei oder eine Deindustrialisierung drohe. Zugleich räumte er aber am Dienstagabend beim Hauptstadtempfang der Bundesbank in Berlin ein, dass das Land vor großen Herausforderungen stehe – wie der Dekarbonisierung und dem demokratischen Wandel. Er appellierte deshalb an die Politik in Deutschland, für die richtigen Rahmenbedingungen zu sorgen.

Deutschland "herausgefordert"

In Europa, aber auch weltweit wird derzeit wieder mit großer Sorge auf die größte Volkswirtschaft im Euroraum geschaut. Prognosen zufolge könnte Deutschland in diesem Jahr das einzige Land im Kreis der sieben führenden Industrienationen (G7) sein, dessen Wirtschaftsleistung schrumpft. Mitunter gilt Deutschland schon wieder als „kranker Mann“ Europas oder sogar der Welt. Zudem nehmen Warnungen zu, dass speziell wegen der hohen Energiekosten vor allem Industrieunternehmen in großem Stil abwandern könnten. Das hat auch eine hitzige Debatte über die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung und Streit in der Ampel entfacht.

Bundesbankpräsident Nagel sagte nun, dass er der Diagnose des „kranken Manns“ nicht zustimmen könne. „Deutschland ist in meinen Augen gesund! Aber es ist herausgefordert!“, sagte er laut Redetext in Berlin. Nagel hatte bereits vergangene Woche bei der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) im marokkanischen Marrakesch betont, dass Deutschland besser dastehe, als es vielfach dargestellt werde. Auch Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte "Kassandrarufe" zurückgewiesen. Vergangene Woche hatte aber auch die Bundesregierung ihre Prognose gesenkt. Sie erwartet nun einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 0,4%.

Kein strukturelles Problem

Dass die deutsche Wirtschaft dieses Jahr als einzige eines Industrielandes schrumpfen werde, sei die Folge von insbesondere zwei Entwicklungen, sagte Nagel nun: der zeitweise sehr hohen Energiepreise, die auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine zurückgingen, und einer aktuell schwachen Weltwirtschaft. „Die Schwächephase der deutschen Wirtschaft ist also nicht primär struktureller Natur, wie es die Debatte über eine mögliche Deindustrialisierung nahelegt“, sagte Nagel. „Dies deckt sich wiederum mit den meisten Prognosen für Deutschland für das kommende Jahr 2024. Sie sagen nämlich bereits wieder eine konjunkturelle Erholung vorher.“

Allerdings machte Nagel auch deutlich, dass Deutschland vor großen Herausforderungen stehe – wobei er mit der Dekarbonisierung und der Demografie zwei herausgriff. "Die Transformation hin zu einem emissionsarmen Wirtschaften bedeutet einen umfassenden Umbau unserer Volkswirtschaft", sagte er. Dabei müsse die Politik helfen: "Mit einer verlässlichen und konsistenten Klimapolitik schafft sie Planungssicherheit auf dem Weg zur CO2-Neutralität bis zum Jahr 2045", so Nagel. Gleichzeitig müssten staatliche Genehmigungen und gerichtliche Überprüfungsverfahren beschleunigt werden. Auf EU-Ebene solle sich Deutschland dafür einsetzen, dass die Kapitalmarktunion weiter vorankommt. "Denn die anstehenden Investitionen wollen finanziert sein. Und ein guter Zugang zu Marktfinanzierung ist hierfür ein wichtiger Baustein." 

Demografischer Wandel

Zum demografischen Wandel sagte Nagel, dass dieser in den nächsten Jahren "deutlich an Fahrt aufnehmen" werde. "Und hierdurch wird sich der jetzt schon akute Fachkräftemangel weiter verschärfen", sagte er. "Die Politik täte gut daran, diese Entwicklung zumindest abzuschwächen. Hierzu muss sie an allen verfügbaren Stellschrauben drehen: indem sie qualifizierte Zuwanderung erleichtert, Betreuungsangebote für Kinder ausbaut, und das Renteneintrittsalter über 67 Jahre hinaus an die Lebenserwartung koppelt", so der Bundesbankchef. 

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