Chefvolkswirt Lane erwartet dauerhaft höhere EZB-Bilanz
Lane erwartet dauerhaft höhere EZB-Bilanz
Chefvolkswirt: Schockanfälligere Welt spricht für mehr Zentralbankreserven und mehr Flexibilität – Anleiheportfolio sinnvoll
ms Frankfurt
Für die Europäische Zentralbank (EZB) gibt es keine Rückkehr zu einem System mit einer niedrigen Zentralbankbilanz und einer knappen Liquiditätsausstattung des Bankensystems wie vor der Weltfinanzkrise. Das hat EZB-Chefvolkswirt Philip Lane am Donnerstag zum Auftakt einer zweitägigen EZB-Konferenz zum Thema Geldmärkte in Frankfurt gesagt. Es sei zu erwarten, dass das angemessene Niveau an Zentralbankreserven bei den Banken dauerhaft deutlich höher und schwankungsanfälliger sein werde, so Lane. Zur Steuerung sollte eine Zentralbank zudem eine Palette an Instrumenten nutzen, so Lane – inklusive eines strategischen Anleiheportfolios.
Aufgeblähte Bilanz
Die Frage nach der optimalen Höhe der Zentralbankbilanzen und der angemessenen Liquidität im Finanzsystem steht derzeit neben der aktuellen Zinspolitik für viele Notenbanken im absoluten Fokus. Im Zuge der Krisen der vergangenen Jahre und der beispiellosen Ankaufprogramme (Quantitative Easing, QE) sind die Bilanzen enorm angewachsen, und die Liquidität im System ist stark angeschwollen. Die EZB-Bilanz etwa wuchs auf zeitweise knapp 9 Bill. Euro – gegenüber rund 1,5 Bill. Euro vor der Finanzkrise. Die von den Banken gehaltenen Reserven beliefen sich Mitte 2022, vor Beginn der jüngsten Zinserhöhungen, insgesamt auf 4,7 Bill. Euro. Im Jahr 2008, vor Ausbruch der Finanzkrise, waren es lediglich 0,1 Bill. Euro.
Bemerkenswert sind Lanes Aussagen zudem, weil die EZB derzeit den Rahmen zur Umsetzung der Geldpolitik überprüft. Im Kern geht es um die Frage, wie viel Zentralbankgeld die EZB dem System bereitstellen soll und auf welchem Wege. Für das künftige Liquiditätsregime hatte EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel im März zwei Alternativen skizziert: ein Regime großer Überschussreserven wie bei der US-Notenbank Fed oder ein nachfragegetriebenes Regime wie etwa bei der Bank of England – wobei sie zu Letzterem tendierte (vgl. BZ vom 29. März). Eine Neuauflage des alten Regimes, in dem es keinen Überschuss an Zentralbankgeld gab, sondern dieses quasi ein knappes Gut war, gilt als nahezu ausgeschlossen – auch wenn einige Experten das fordern.
Risiken zu knapper Reserven
Lane skizzierte nun aus makroökonomischer Perspektive ein paar aus seiner Sicht zentrale Punkte bei der Betrachtung der Zentralbankreserven. Erstens werde die angemessene Höhe der Zentralbankreserven in der "neuen Normalität" zwar sehr viel niedriger liegen als aktuell, zugleich aber solle sie "die Risiken vermeiden, die mit zu knappen oder zu üppigen Reserven verbunden sind". Er hält es insbesondere für erforderlich, "die Bereitschaft der Banken zu unterstützen, trotz der mit illiquiden Vermögenswerten (wie Bankkrediten) verbundenen Risiken in einer Welt, die viel anfälliger für makrofinanzielle Schocks ist, Kredite zu vergeben".
Zweitens argumentierte Lane, dass es "aus makroökonomischer Sicht angemessen ist, wenn eine Zentralbank eine Reihe von Instrumenten zur Bereitstellung von Zentralbankreserven einsetzt". Insbesondere "würde eine Mischung aus einem strukturellen Anleiheportfolio und längerfristigen Refinanzierungsgeschäften dem Bankensystem längerfristige Liquidität zur Verfügung stellen, während die kurzfristigen Refinanzierungsgeschäfte gut geeignet sind, Liquiditätsschocks mit höherer Frequenz aufzufangen". Drittens sollte das "Angebot an Zentralbankreserven im Falle von makrofinanziellem Stress elastisch sein".
Handeln an Zinsuntergrenze
Viertens schließlich, so Lane, sei zu bedenken, dass die Reserven möglicherweise wieder ansteigen müssen, wenn die Wirtschaft von Schocks getroffen wird, die dazu führen, dass die Leitzinsen an die Zinsuntergrenze stoßen und ein erneuter Bedarf an quantitativen Lockerungsmaßnahmen oder krediterleichternden längerfristigen Refinanzierungsgeschäften zur Wahrung der Preisstabilität besteht.