China: Es ist Zeit für konsequente Reformen
Das einst oft als Land der Wirtschaftswunder bezeichnete China kämpft seit 2011 mit einem unaufhaltsam sinkenden Wirtschaftswachstum und orientiert sich derzeit ökonomisch neu. Der Weg hin zu einem konsumgestützten Wirtschaftsmodell schreitet zwar voran, allerdings insgesamt viel zu langsam. Ein Grund hierfür sind die Bemühungen Pekings, das Wirtschaftswachstum weiterhin anzutreiben, um die soziale Stabilität aufrechtzuerhalten. Die hierzu eingeleiteten Maßnahmen lassen nämlich im Gegenzug die ohnehin schon hohe Inlandsverschuldung weiter in die Höhe schnellen. Dieser Trend dürfte sich auch mindestens bis zur Tagung des Nationalen Volkskongresses im Herbst fortsetzen, da Peking das Wachstum des realen Bruttoinlandsproduktes (BIP) bis dahin vermutlich mit den nötigen Maßnahmen auf 6,5 % halten wird. Im vergangenen Jahr lag das Wachstum des realen BIP noch bei um die 6,7 %, mittelfristig dürfte es sich abkühlen und auf 6 % zurückgehen.Dass das chinesische BIP-Wachstum zunehmend auf Schulden beruht, veranschaulicht sich an der steigenden Unternehmensverschuldung. Diese notiert mit 170 % des BIP höher als die von anderen Schwellenländern vor einer Krise, und auch der Anteil notleidender Kredite von Banken steigt. Peking scheint zwar die Notwendigkeit von Reformen und Schuldenabbau bei Unternehmen erkannt zu haben, die bislang durchgeführten Schritte genügten jedoch nicht zur Behebung der immensen Ausmaße. Die weit verbreitete Auffassung, China könne eine potenzielle Wirtschafts- und Finanzkrise abwenden, muss somit neu bewertet werden.Hinsichtlich der Unternehmensverschuldung gibt es neben deren Höhe an sich einen weitaus besorgniserregenderen Faktor: die Geschwindigkeit des Schuldenanstieges. Seit 2009 ist die Kreditvergabe gegenüber dem BIP um 75 Prozentpunkte angewachsen und übersteigt das BIP-Wachstum somit deutlich. Der Schuldenanstieg konzentriert sich insbesondere auf einige wenige Sektoren: Der Immobiliensektor vereint hierbei den größten Schuldenberg auf sich. Danach folgen der Bergbau, Öl und Gas sowie Kohle und Stahl. Mit 95 % lauten die meisten Schulden auf Renminbi. Abgesehen von den Sektoren mit Überproduktion, in denen der Dollaranteil höher ist, reduziert diese Gegebenheit das Risiko in Verbindung mit dem derzeit starken US-Dollar. In einem Umfeld konjunkturellen Abschwungs und aufgezehrter Unternehmensgewinne würden höhere Zinsen die am höchsten verschuldeten Unternehmen jedoch zusätzlich unter Druck setzen – und könnten zu weiteren Zahlungsverzügen oder gar -ausfällen führen. Seit dem ersten erfassten Zahlungsausfall einer Unternehmensanleihe im Frühling 2014 treten diese ohnehin immer häufiger auf. Auch nicht systemrelevante Staatsunternehmen sind von dieser Entwicklung betroffen. Staatsunternehmen sind allgemein noch höher verschuldet, da sie sich leichter über Banken finanzieren können. Drohende SchuldenbombeDoch viel wichtiger ist die Frage: Wird sich das Blatt zukünftig wenden? Derzeit sieht es nicht danach aus. Peking ist sich der drohenden Schuldenbombe zwar durchaus bewusst, könnte den Entschuldungsprozess aber aufgrund von Eigeninteressen und der Angst um die nationale Stabilität weiterhin hinauszögern. Erste Maßnahmen, wie beispielsweise Schuldenswaps zur Auflösung von Hunderten erfassten “Zombie-Unternehmen” sowie Fusionen und Akquisitionen in der Kohle- und Stahlindustrie, sind bereits erfolgt. Dadurch wird das grundlegende Risiko allerdings nicht behoben. Stattdessen könnte sich das Risiko von Staatsunternehmen hierdurch eher auf die Banken und somit auch auf die Sparer verlagern. Eine schlüssige Strategie, bei der Finanzunternehmen zu einer strengeren Finanzdisziplin gezwungen würden, hat die Regierung bislang nicht zustande gebracht.China befindet sich in einer Schuldenspirale, die sich in Form von minderwertigem Bankvermögen widerspiegelt. Diese könnte in einer Bank- und Finanzkrise enden, sollten keine Korrekturmaßnahmen vorgenommen werden. Eine solche potenzielle Krise würde neben Banken auch Unternehmen und andere Akteure des Nichtbankensektors treffen. Die Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum wären schwerwiegend und könnten mehrere Jahre andauern.Die schwindende Stabilität des Bankensektors lässt sich vor allem an zwei Faktoren erkennen: Zum einen an den rückläufigen Gewinnen und zum anderen an dem sich erhöhenden Anteil notleidender Kredite. Letzterer wird auf 15 % geschätzt – wohingegen der offizielle Wert unter 2 % liegt. Dieses Beispiel verdeutlicht die mangelnde Transparenz über den tatsächlichen Zustand. Dies kann dazu führen, dass mögliche Risiken unterschätzt werden. Auch der Umfang des Schattenbanksystems ist erheblich. Er umfasst rund 15 % aller Kredite und nahezu 50 % des BIP. Schuldenswaps könnten zwar einerseits die notleidenden Kredite in den Büchern der Banken reduzieren, andererseits sind sie aber noch lange keine Garantie dafür, dass sich deren Finanzlage langfristig verbessert. Ein weiterer Anlass zur Sorge: Um den Abwärtstrend der Einlagen auszugleichen, greifen Banken zunehmend auf die Finanzierung von anderen Banken und Kreditinstituten zurück. Hohe SparquoteAuf der anderen Seite muss man bei einer Betrachtung von China auch sehen, dass die steigenden Unternehmens- und Bankenrisiken noch immer von einer hohen Sparquote privater Haushalte, einer starken Nettogläubigerposition gegenüber dem Ausland sowie einer niedrigen Verschuldung der Zentralregierung eingedämmt werden. Ebenfalls von Vorteil ist, dass viele der Wirtschaftsakteure anhand eines umfangreichen Netzwerkes von Staatsunternehmen und staatlichen Geschäftsbanken von der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) kontrolliert werden. Des Weiteren wurden bereits einige Maßnahmen gefordert, welche die Wirtschaft verbessern und weiterführend auch zukunftssicher gestalten sollen. Hierzu zählen: der Konkurs nicht systemrelevanter, finanziell nicht tragfähiger Unternehmen, die Bereinigung der Bilanzen überschuldeter Staatsunternehmen, die Rekapitalisierung des weltweit größten Bankensektors beziehungsweise zumindest der systemrelevanten staatlichen Banken sowie eine bessere Überwachung und Regulierung des chinesischen Schattenbanksystems. Aufgeschobene ReformenDas Problem bleibt jedoch: Je länger Peking das Wirtschaftswachstum mit verschiedenen Maßnahmen antreibt, desto wirkungsloser werden die denkbaren Abhilfemaßnahmen und desto stärker wirkt sich das Aufschieben notwendiger Reformen auf das mittel- bis langfristige Wachstumspotenzial des Reichs der Mitte aus. Der derzeitige Präsident Xi Jinping wird die Wahlen im März 2018 wahrscheinlich erneut für sich entscheiden und weitere fünf Jahre Amtszeit dazugewinnen können. Abzuwarten bleibt allerdings, ob Xi Jinping seine zweite Amtszeit für eine Beschleunigung der Reformen nutzen wird.—-Christoph Witte, Deutschland-Chef des belgischen Kreditversicherers Credendo