EUROPA HAT DIE WAHL

China geht lieber bilaterale Wege

Handelsstreit, Industriestrategie und "Neue Seidenstraße" belasten Verhältnis

China geht lieber bilaterale Wege

Von Norbert Hellmann, SchanghaiMit den jüngsten Wendungen im Handelsstreit zwischen China und den USA wird auch das Beziehungsgeflecht zwischen China und der EU vor neue Unsicherheiten gestellt. Der anstehenden Europawahl wird in Peking eher am Rande Beachtung geschenkt. Man ist sich darüber im Klaren, dass derzeit weniger die Weichenstellungen auf Ebene der EU-Gremien als die Dreieckssituation mit den USA die Interessenlage zwischen China und der EU bestimmt.Anfänglich mochte die Protektionismus-Offensive des US-Präsidenten Donald Trump vermuten lassen, dass China und die EU als wesentliche Leidtragende der immer neuen handelspolitischen Affronts aus Washington mehr und mehr in die Rolle von engeren Verbündeten zusammenwachsen. Man durfte darauf hoffen, dass sich China und der EU-Block mit einer gemeinsamen Linie in Sachen Befürwortung von Globalisierung und einer multilateralen Zusammenarbeit gegenseitig den Rücken stärken würden.Was gemeinsame handelspolitische Bekenntnisse angeht, sind beide Seiten unter dem immer stärkeren Druck der USA sowohl bei Strafzollmaßnahmen wie auch im Umgang mit chinesischen Technologieunternehmen in eine immer undurchsichtigere Interessenlage gebracht worden. Dabei muss stets neu erwägt werden, ob man sich mit chinesisch-europäischen Kooperationsgesten nicht noch tiefer in die Bredouille bringt. Die Anfeindungen Washingtons gegen den Technologiekonzern Huawei und Versuche, diesen beim Ausbau der europäischen 5G-Netzwerkinfrastruktur auszugrenzen, sind nur ein Beispiel dafür.In China stellt man mit Ernüchterung fest, dass die immer stärkere Bedrohung durch die USA auch auf das Kräfteverhältnis in der Beziehung zu Europa abfärbt. Die gemeinsame Linie bei der Ablehnung von Strafzollmechanismen und der Befürwortung von multilateralen Koordinationsmechanismen, etwa über die von Washington immer mehr ins Abseits gestellte Welthandelsorganisation WTO, ändert nichts an der Tatsache, dass wesentliche, von den USA vorgebrachte Streitpunkte zu Chinas Handels- und Marktzugangspraktiken auch den Anliegen der EU-Seite entsprechen. In Fragen der Behandlung von Auslandsunternehmen in China, bei Chinas Umgang mit staatlichen Subventionen und den Problemen beim Schutz des geistigen Eigentums sowie dem unfreiwilligen Technologietransfer sieht man eine weitgehende Interessenkongruenz zwischen Washington und Brüssel. EU als TrittbrettfahrerSo beobachtet man in Peking mit Unbehagen, dass sich die EU-Staaten gewissermaßen in einer Trittbrettfahrerrolle befinden und darauf zählen, dass die Drohpraktiken Washingtons letztlich chinesische Marktöffnungsschritte und Reformen nach sich ziehen werden, die auch europäischen Unternehmen zugutekommen dürften. Aus chinesischer Sicht wirkt es so, dass die EU mit dem Aufkommen des Handelsstreits einen insgesamt robusteren Auftritt bei den Forderungen nach sogenannter Reziprozität beim gegenseitigen Marktauftritt fährt. Dazu gehört vor allem die EU-Offensive für die mögliche Beschränkung von chinesischen Investments und Unternehmenskäufen in sensiblen industriestrategischen und technologischen Sektoren. Auch registriert man in China mit einigem Schrecken die neue Grundsatzdiskussion der EU über Chinas Position als wichtiger Kooperationspartner, aber auch strategischer Rivale. Dies steht im Kontrast zum chinesischen Ansatz einer öffentlichen Ausklammerung von Konflikten und der betulichen Partnerschaftsbekenntnisse mit Betonung einer Win-win-Situation.Eine Zuspitzung der Debatte findet sich auch beim Umgang mit dem chinesischen Seidenstraßen-Projekt. China sieht das gigantische Infrastrukturprogramm zum Ausbau von Handelsrouten in der Schneise von Zentralasien nach Europa als ideales Betätigungsfeld für internationale Kooperation bei der Infrastrukturentwicklung. In der EU aber werden Aspekte einer chinesischen Einflusssicherung und geopolitischen Machtausdehnung über mit chinesischen Milliardenkrediten finanzierte Projekte kontrovers gesehen und Distanz gewahrt.China lockt EU-Staaten mit bilateralen Verträgen auf Länderebene zum Beitritt in die Belt and Road Initiative (BRI) und steht zudem über den Austausch mit ost- und südosteuropäischen Ländern im 16+1-Forum in einer separaten Einflussschiene, die tendenziell schwächeren Staaten Vorteile einer direkten Kooperation mit China eröffnen soll. Durch den feierlichen Beitritt Italiens zur BRI ist man in Brüssel nun über eine Zersplitterung der China-Politik im EU-Raum alarmiert. Denn China wird mit diesem Erfolg im Rücken erst recht bestrebt sein, lieber die bilaterale Schiene zu pflegen, als Europa als eine politische Einheit zu behandeln.