IM BLICKFELD

China-Investoren hadern mit dem neuen Normalwachstum

Von Norbert Hellmann, Schanghai Börsen-Zeitung, 27.6.2015 Der Weg zu qualitativem, innovativem und ökologisch nachhaltigerem Wachstum, den die chinesische Regierung der staatsgelenkten Wirtschaft zu verschreiben versucht, erweist sich als steinig....

China-Investoren hadern mit dem neuen Normalwachstum

Von Norbert Hellmann, SchanghaiDer Weg zu qualitativem, innovativem und ökologisch nachhaltigerem Wachstum, den die chinesische Regierung der staatsgelenkten Wirtschaft zu verschreiben versucht, erweist sich als steinig. Das Expansionstempo der Wirtschaft hat sich zuletzt auf 7 % ermäßigt und dürfte künftig unter dieser Marke liegen. Dies führt an allen Ecken und Enden zu einem Anpassungsdruck, der schwer auf dem Investitionsklima lastet.Gegenwärtig entfaltet Peking einen mächtigen Drang hin zu Finanzreformen, gleichzeitig werden mit dem Seidenstraßenprojekt neue Fantasien für einen gewaltigen Infrastrukturausbau zur Förderung internationaler Handelsrouten geweckt. Mit der Agenda “Made in China 2025” verschreibt sich das Reich der Mitte einer langfristigen technologischen Aufrüstungsoffensive hin zu einer modernen Industrialisierung, die in gewisser Weise Anleihen bei Deutschlands Industrieplan 4.0 nimmt. Eine solche Offensive tut not, denn in Sachen Arbeitsproduktivität und Fähigkeit zu industrieller Wertschöpfung scheint China gegenüber führenden westlichen Industrieländern eher weiter zurückzufallen denn stärker aufzuholen, zeigt ein jüngster Bericht des Forschungszentrums für industrielle Modernisierung der China Academy of Science.Ausländische Direktinvestoren sehen den Transformationsprozess der chinesischen Wirtschaft mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ein reformgetriebener Umbau der Wirtschaft und zahlreiche neue Betätigungsfelder insbesondere im Zusammenhang mit Informationstechnologie, Umwelttechnik, Robotik und neuen Materialien mögen blühende Wiesen in der Zukunft versprechen. Gegenwärtig jedoch bringt das deutlich nachlassende Wachstumstempo der Wirtschaft bei gleichzeitig strammem Lohnkostenanstieg ein Umfeld mit sich, in dem auch ausländische Unternehmen immer mehr Mühe haben werden, an die Erfolge der Vergangenheit anzuknüpfen, und in dem sie ihre Expansionspläne im Reich der Mitte stärker zu überdenken beginnen. Vorteile verschwinden raschDies macht sich vor allem im Industriesektor bemerkbar, wo die ausländischen Direktinvestitionen seit Mitte vergangenen Jahres deutlicher nach unten zeigen. Chinas Wirtschaftswunder der letzten 20 Jahre basiert auf einer hyperdynamischen industriellen Entwicklung mit Schwerpunkten in der Billiglohnfertigung, die sich so nicht mehr replizieren lässt. Nach Daten der Weltbank hat das Reich der Mitte mittlerweile einen Anteil am weltweiten industriellen Output von 20 % erreicht, doch sind die makroökonomischen Faktoren, die der chinesischen Industrie komparative Vorteile geboten haben, im raschen Erodieren begriffen.Mit zunehmendem Entwicklungsstand steigen die Ansprüche, die Normalisierung der chinesischen Wirtschaft entlädt sich vor allem in steigenden Arbeits- und operativen Kosten, mit denen Produktivitätsfortschritte nicht Schritt halten. Die Produzenten sehen sich gleichzeitig anspruchsvolleren heimischen Konsumenten gegenüber, die höhere Qualitätsstandards fordern, aber kostenbewusster agieren und sich rasch wandelnde Geschmäcker an den Tag legen. Dies färbt immer stärker auch auf die Perspektiven ausländischer Unternehmen ab, die weniger für den Export produzieren, sondern den riesigen chinesischen Binnenmarkt abgreifen wollen und wachsenden Margendruck spüren. Sie sehen sich einem ähnlichen Anpassungsdruck wie heimische Industrieunternehmen ausgesetzt.Für die multinationalen Konzerne sei das “Goldene Zeitalter” ihres China-Auftritts passé, lautet mittlerweile der Tenor in den einschlägigen Befragungen der Europäischen Handelskammer in China unter ihren Mitgliedern. In der jüngsten Erhebung bei über 500 Unternehmen mit China-Präsenz geben sich zwar noch 58 % der Befragten optimistisch zu ihren Wachstumsaussichten in China. Das ist jedoch für sich genommen ein steiler Abstieg, denn in den beiden vorangegangenen Jahren lag der Anteil der Optimisten noch bei 68 % beziehungsweise 86 %. Umgekehrt ist der Anteil der Unternehmen, die Anlass zu einem schlankeren China-Auftritt mit Kostenreduzierungsprogrammen und einem Arbeitsplatzabbau sehen, von 24 % auf 39 % in diesem Jahr gestiegen.Die bange Frage aus Sicht der Pekinger Wirtschaftslenker ist nun, ob sich das geschwächte Vertrauen der ausländischen Direktinvestoren angesichts anhaltend gedrückter Konjunkturperspektiven zu einem Rückzug auf breiter Front verdichtet. Beim Handelsministerium heißt es, man sehe keinerlei Anzeichen für einen Exodus multinationaler Konzerne, und es wird betont, dass der Investitionsstandort China unverändert wettbewerbsfähig und attraktiv bleibe. In der offiziellen Statistik zeigt sich im bisherigen Jahresverlauf tatsächlich eine durchaus robuste Entwicklung der ausländischen Direktinvestitionen, die in den ersten fünf Monaten des Jahres um 10,5 % auf 53,8 Mrd. Dollar geklettert sind.Dabei erweist sich allerdings der Dienstleistungssektor als der eigentliche Magnet für ausländische Investitionen. Dort sind sie mit Schwerpunkten im Finanzsektor und Transportbereich in diesem Jahr überproportional um knapp 24 % auf 34 Mrd. Dollar geklettert und beanspruchen damit bereits fast zwei Drittel des Gesamtvolumens. Dies ist freilich ein Trend, der zum laufenden Transformationsprozess der chinesischen Wirtschaft passt, die auf einen gedrosselten, aber nachhaltigeren Wachstumstrend einschwenkt, der sich wie in westlichen Ländern stärker auf den Konsum und den Dienstleistungssektor als Triebfeder stützt.