China setzt zur sanften Landung an
Chinas Wirtschaft hat im ersten Quartal zwar wieder etwas Schwung verloren, aber die Industrieproduktion hat im März deutlich zugelegt, ebenso wie die Anlageinvestitionen und der Einzelhandel. Damit dürfte die Wirtschaft im weiteren Jahresverlauf an Halt gewinnen, doch rücken Fragen zur Schuldenentwicklung und der Verfassung des Arbeitsmarktes stärker in den Vordergrund.Von Norbert Hellmann, SchanghaiChinas Bruttoinlandsprodukt (BIP) wuchs im ersten Quartal mit 6,7 % nach 6,8 % im vorangegangenen Dreimonatsabschnitt. Dies ist die schwächste Wachstumsrate für die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft seit dem Höhepunkt der globalen Finanzkrise vor sieben Jahren. Damit setzt sich der Abkühlungstrend im Reich der Mitte wie von den Analysten erwartet zwar zunächst weiter fort, doch spricht alles für eine sanfte Landung mit einer Stabilisierung der Wirtschaft oder gar leichten Aufschwungbewegung im laufenden Quartal. Die am Freitag vom chinesischen Statistikamt verbreiteten wirtschaftlichen Leistungsdaten für März bringen nämlich deutliche Anzeichen für einen konjunkturellen Besserungstrend. Handel setzt mehr umInsbesondere das zuletzt immer schwächere Wachstum der Industrieproduktion ist im März kräftig angesprungen. Der Output im verarbeitenden Gewerbe kletterte um 6,8 % gegenüber Vorjahr, nachdem die Rate in den ersten beiden Monaten des Jahres auf 5,4 % abgeglitten war. Die Analysten hatten hier auch nur ein Plus von etwa 5,9 % auf den Prognosezetteln. Ein weiterer Indikator für eine positive Wende ist die nach drei Monaten nunmehr auf 10,7 % (zuvor 10,2 %) gefestigte Wachstumsrate der Anlageinvestitionen. Auch der Einzelhandel macht Freude. So zog das Wachstum der Umsätze im Retailsektor mit 10,5 % nach zuvor 10,2 % im Januar deutlicher als erwartet an.An den Finanzmärkten wurden Chinas neue Konjunkturdaten mit gemischten Gefühlen aufgenommen. In Schanghai gab der Leitindex am Freitag geringfügig nach, während die europäischen Börsen seitwärts tendierten. Der Yuan gab wie schon am Vortag im Verbund mit anderen asiatischen Währungen etwas gegenüber dem Dollar nach.Die nüchternen Marktreaktionen auf den jüngsten Zahlenkranz aus dem Reich der Mitte erklären sich zum einen damit, dass es an den Börsen bereits an den Vortagen zu deutlichen Kursfortschritten in Vorwegnahme einer Konjunkturwende in China gekommen war, insbesondere im Nachgang zu überraschend positiven Außenhandelsdaten mit einem Turnaround bei der Exportentwicklung. Gleichzeitig ist zu beachten, dass die März-Daten aufgrund von begünstigenden Basiseffekten, die unter anderem im Zusammenhang mit dem chinesischen Neujahrsfest stehen, einen Ausreißer nach oben darstellen könnten. Dies gilt insbesondere mit Blick auf das sehr kräftige Anspringen des Wachstums der Industrieproduktion auf nunmehr 6,8 %. Über das Quartal hinweg stellt sich der Outputzuwachs nach dem schwachen Jahresstart mit 5,8 % noch eher verhalten dar. Investitionen im AufschwungImmerhin aber gibt es guten Grund zur Annahme, dass der alarmierende Dynamikschwund im verarbeitenden Gewerbe vorerst gestoppt worden ist, wofür bereits die Anfang April verbreiteten Einkaufsmanagerdaten und ein gemäßigterer Deflationstrend bei den Erzeugerpreisen im März gesprochen hatten. Grund für Optimismus ist auch im Zusammenhang mit der positiven Entwicklung der Anlageinvestitionen gegeben, wobei zwei Faktoren ausschlaggebend sind.Zum einen machen sich die staatlichen Stimulierungsmaßnahmen immer deutlicher am Häusermarkt positiv bemerkbar, wo man unabhängig vom zuletzt starken Preisauftrieb in Chinas größten Metropolen auch in der Breite eine Belebung der Wohnungsverkäufe, ein Anziehen der Baustarts und mithin auch wieder dynamischere Anlageinvestitionen im Sektor vorfindet. Zum anderen hat die Regierung mit der Forcierung von Infrastrukturprojekten für ein akzeleriertes Wachstum der Anlageinvestitionen gesorgt, das zwangsläufig positiv auf die BIP-Entwicklung im weiteren Jahresverlauf abfärben dürfte. Kreditmaschine springt anDie Frage ist allerdings, ob diese Impulse bereits für eine dauerhafte Stabilisierung beziehungsweise einen sich selbst tragenden leichten Konjunkturaufschwung reichen oder aber wieder rasch verpuffen. In jedem Fall sieht man Anzeichen für verstärkte kreditfinanzierte Impulse. Zuletzt stellten sich die Zahlen zur Neukreditvergabe der Geschäftsbanken im März mit 1,37 Bill. Yuan (rund 187 Mrd. Euro) beziehungsweise der als Total Social Financing bezeichneten aggregierten Finanzierung, die Wertpapieremissionen und den Schattenbankensektor mit einfängt, mit 2,34 Bill. Yuan auf einem extrem hohen Niveau dar.Warnende Stimmen verweisen denn auch darauf, dass der jetzt beobachtete Ruck im Industrie- und Bausektor und der Schub bei öffentlichen Projekten eine weiter angeheizte Verschuldung des in Sachen “Leverage” bereits strapaziert wirkenden Staatsunternehmenssektors bedingen könnten. Zuletzt hatten Ratingagenturen auch eine drohende Bonitätsverschlechterung bei zahlreichen chinesischen Immobilienentwicklern moniert. Abgesehen davon spürt man am chinesischen Bondmarkt einen Renditeauftrieb im Zuge verstärkter Sorgen über wachsende Zahlungsausfälle von chinesischen Unternehmensemittenten.Besonders betroffen sind rohstofflastige und schwerindustrielle Sektoren wie Kohle, Stahl und Schiffsbau. Die hier und in anderen Sektoren vorliegende Überkapazitätsproblematik hat die Regierung die Bereitschaft zu härteren Einschnitten und strukturpolitischen Maßnahmen verkünden lassen. Sollten diese rasch veranlasst werden, wird es zwangsläufig zu Stilllegungen und Produktionsbeschränkungen kommen, die einerseits bremsend auf die Industrieproduktion wirken und andererseits negative Beschäftigungseffekte zeitigen dürften. In Peking erhofft man sich freilich, dass die wachsende Zugkraft des Dienstleistungsgewerbes kompensieren hilft beziehungsweise zur beschleunigten Schaffung von neuen Arbeitsplätzen beiträgt. KräfteverschiebungMut machen dürfte in dieser Hinsicht der robuste private Konsum beziehungsweise der positive Trend bei den Einzelhandelsumsätzen sowie ein dynamischeres Wachstum im Dienstleistungssektor – also Entwicklungen, die im Einklang mit dem Bestreben eines Umbaus des chinesischen Wachstumsmodells und der langfristigen Schwerpunktverlagerung von investiven zu konsumtiven Kräften stehen. Nach Angaben des National Bureau of Statistics hat der Dienstleistungsbereich mit einem Wachstum von 7,6 % im ersten Quartal den Industriesektor mit seinem Plus von 5,8 % weiter abgehängt. Dabei ist auch der Anteil des tertiären Sektors an der gesamten Wirtschaftsleistung nach dem ersten Quartal auf 56,9 % geklettert, was einen neuen “Rekordwert” darstellt.