China-Wachstum gibt es jetzt nur noch mit der 6 vor dem Komma

Wirtschaft verliert weiter an Umdrehungen - Eintrübung auch im Schlussquartal - Dienstleistungssektor als Lichtblick

China-Wachstum gibt es jetzt nur noch mit der 6 vor dem Komma

Von Norbert Hellmann, SchanghaiIn der chinesischen Wirtschaft drehen die Räder immer langsamer. Entgegen den Hoffnungen der Marktteilnehmer, dass die von der Pekinger Regierung in der zweiten Jahreshälfte gesetzten Impulse bereits sichtbar auf die Wirtschaftsleistung abfärben, hat sich auch im vierten Quartal nicht die erhoffte Stabilisierung eingestellt.Nach Angaben des chinesischen Statistikbüros expandierte das chinesische Bruttoinlandsprodukt im vierten Quartal um 6,8 % gegenüber der Vorjahresperiode. Dies bedeutet den niedrigsten Wert seit dem ersten Quartal 2009, als das BIP im unmittelbaren Gefolge der globalen Finanzkrise kurzzeitig in die Knie ging, um dann aber im Gefolge eines massiven Konjunkturprogramms wieder stark anzuspringen. Struktureller WandelEin solches Szenario wird es in diesem Jahr nicht geben. Die chinesische Regierung zeigt sich weiter bemüht, das Wirtschaftstempo mit selektiven Impulsen auf Kurs zu halten und zumindest in die Nähe der offiziellen Wachstumszielvorgabe zu manövrieren. Der im Einklang mit der laufenden Pekinger Reformagenda greifende strukturelle Wandel führt aber zwangsläufig zu einem Nachlassen der Wachstumskräfte in der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft.Für das Gesamtjahr 2015 stehen wie vom Gros der Ökonomen erwartet nun 6,9 % BIP-Wachstum zu Buche. Damit wird das offizielle Wachstumsziel der Regierung von “etwa 7 %” je nach Sichtweise knapp verfehlt oder gerade noch erfüllt. Dass man die Zielmarke nicht voll erfüllen konnte, ist aber schon lange keine Überraschung mehr. Auch in den beiden vorangegangenen Jahren war das tatsächliche BIP-Wachstum mit jeweils 7,3 % hinter der damals offiziellen Marke von 7,5 % zurückgeblieben.Beim Blick auf die Leistungsdaten der Wirtschaft im Dezember zeigt sich, dass sich die chinesische Wirtschaft nicht, wie von einigen Experten erwartet worden war, zum Jahresende hin noch einmal aufgebäumt hat. Vielmehr fiel das Wachstum der Industrieproduktion im Dezember mit einem Anstieg um 5,9 % gegenüber Vorjahresmonat hinter den im November gezeigten Wert von 6,2 % und auch hinter die Erwartungen der Analysten zurück. Auch an der Konsumfront gibt es eine kleine Enttäuschung zu vermelden. Das Einzelhandelswachstum blieb im Dezember mit einem Plus von 11,1 % sowohl hinter dem November-Wert (11,2 %) als auch der Konsensschätzung der Analysten (11,3 %) zurück. Nachlassende InvestitionenZuletzt haben auch die öffentlichen Infrastrukturinvestitionen etwas nachgelassen, wonach die chinesischen Anlageinvestitionen im Dezember nur noch um 8,2 % gegenüber Vorjahr zugelegt haben dürften. Insgesamt wurde das sogenannte Fixed Asset Investment in der chinesischen Wirtschaft für das Gesamtjahr 2015 auf nur noch 10 % gedrosselt, ein sehr kräftiger Rückschritt von den im vergangenen Jahr gezeigten 15,7 % und den in den Vorjahren üblichen Wachstumsraten von über 20 %. Dabei macht sich in erster Linie das im vergangenen Jahr sogar rückläufige Investitionsvolumen im Immobilienmarkt bemerkbar.Zwar hat sich der Preisverfall für Wohnimmobilien in Chinas größten und wichtigsten Metropolen bereits zum Jahresanfang wieder gelegt und lässt auch im laufenden Jahr moderate Preiszuwächse erwarten, in zahlreichen strukturschwächeren Gebieten Chinas aber gibt es nach einem jahrelangen unkontrollierten Bauboom nun einen gewaltigen Angebotsüberhang im Immobilienmarkt, der noch für längere Zeit das Investitionstempo bremst. Ähnlich sieht es im Zusammenhang mit einem wachsenden Überkapazitätsproblem in zahlreichen Schwerindustrien und dabei vor allem auch bauverwandten Branchen aus.Im Zusammenhang mit einer seit nunmehr über vier Jahren anhaltenden Deflation der Erzeugerpreise sind auch hier anhaltende Schleifspuren beim industriellen Fixed Asset Investment zu erwarten. Vor dem Hintergrund des strukturellen Nachlassens dieses Wachstumstreibers stellt sich die Frage, inwieweit der sich weiter belebende chinesische Dienstleistungssektor in die Bresche springen kann.Die chinesische Regierung propagiert bereits seit einigen Jahren nicht zuletzt auch mit Blick auf immer ernstere ökologische Herausforderungen den schleichenden Übergang vom investiven zum konsumtiven Wirtschaftsmodell und die Verlagerung der Wirtschaftskräfte auf den tertiären Sektor. Allerdings ist man nur bedingt bereit, auch die mit einem solchen Wandel einhergehende Drosselung des Wachstumstempos hinzunehmen. Der eigentlich wünschenswerte Umbau der Wirtschaft hin zu einem stärker “qualitativen” Wachstum lässt im Falle Chinas dann aber nur noch mittlere einstellige Wachstumsraten beim Bruttoinlandsprodukt erwarten. Seitens des Statistikbüros konnte am Dienstag jedenfalls vermeldet werden, dass das chinesische BIP mit einem Anteil von 50,5 % erstmals überhaupt in der Wirtschaftsgeschichte des Landes vorrangig vom Dienstleistungsbereich bestritten wurde.Dabei kam der tertiäre Sektor im Jahr 2015 zwar auf ein imposantes Wachstum von 8,3 %, dies allein reicht aber nicht aus, um die Gesamtwirtschaft erfolgreich zu beleben. Vielmehr müssten die Dienstleistungen in China Wachstumsraten von mehr als 10 % hinlegen, um die von der Schwerindustrie und der Landwirtschaft ausgehenden Bremseffekte überkompensieren zu können. Andersherum kann man natürlich sagen, dass das flotte Tempo bei den Diensten dafür sorgt, dass Chinas Wirtschaft die sonst wohl unausweichliche harte Landung erspart bleibt. Kontrollierte AbkühlungEntsprechend fielen auch die Marktreaktionen auf die jüngsten Wirtschaftsdaten gelassen oder sogar positiv aus. Seit Jahresbeginn waren erneut von Chinas Börsen und der Steuerung des Wechselkurses ausgehende Turbulenzen auf die globalen Finanzmärkte übergeschwappt und hatten eine neue Runde von China-Konjunktursorgen angeheizt. Nun allerdings festigt sich eher die Erwartung, dass sich eine weiterhin kontrollierte Abkühlungsbewegung fortsetzt, die in Verbindung mit neuerlichen Impulsen der Regierung die gefürchtete harte Landung äußerst unwahrscheinlich macht.