LEITARTIKEL

Chinas Versuchskaninchen

Auf einer Schnellstraße am Rande von Schanghai spannt sich ein großer beleuchteter Bogen über alle Fahrbahnen, der den Eintritt in die sagenumwobene neue Schanghaier Freihandelszone markiert. Es lohnt sich, die Begrüßungslettern in Chinesisch und...

Chinas Versuchskaninchen

Auf einer Schnellstraße am Rande von Schanghai spannt sich ein großer beleuchteter Bogen über alle Fahrbahnen, der den Eintritt in die sagenumwobene neue Schanghaier Freihandelszone markiert. Es lohnt sich, die Begrüßungslettern in Chinesisch und Englisch genau anzusehen: “China (Shanghai) Pilot Free Trade Zone”, heißt es unmissverständlich. Die Klammersetzung macht deutlich, dass Schanghai gar nicht im Vordergrund stehen soll, sondern nur Andockstelle beziehungsweise Experimentierfeld für chinaweit fruchtende Reformen sein darf.Es ist noch immer ein bisschen rätselhaft, wie die geografisch auf 27 Quadratkilometer eingegrenzte Zone in Nähe von logistischen Umschlagplätzen wie dem Seefracht- und dem Flughafen, aber fernab des Bankenzentrums den Nukleus einer neuen Finanzreformagenda abgeben kann. Dabei steht die Euphorie, die sich in chinesischen Medien, aber auch am Aktienmarkt rund um die Zone, entfaltet hat, in keinem Verhältnis zu den bislang tatsächlich absehbaren Neuerungen.Bei der reichlich überhasteten und auf den chinesischen Nationalfeiertag hin abgestimmten Eröffnung der Zone Anfang Oktober hatte es geheißen, dass man dort ein neues Finanzsektorregime in der gesamten Bandbreite von Wechselkurs-, Kapitalverkehrs- und Zinsliberalisierung aufleben lassen werde. Damit würde auf dem chinesischen Festland ein Offshore-Platz entstehen, auf dem sich der chinesische Yuan im freien Spiel er Marktkräfte entfalten könne. Dass diese Fantasien etwas zu weit gehen, zeigen nun die Pläne der People’s Bank of China für neue Spielregeln in der Zone.Seitens der Zentralbank ist eine sogenannte “Meinung”, amtschinesisch für einen Richtlinienvorschlag, erlassen worden. Er soll erkennen lassen, mit welchen Freizügigkeiten auf Kapitalverkehrsebene für aus der Zone heraus initiierte Geschäfte gerechnet werden kann, die sich anschließend auf die nationale Ebene übertragen lassen. Um es gleich vorwegzunehmen: Von einer freien Wechselkursbildung in der Zone – wie immer man sich das vorgestellt haben mag – kann keine Rede sein. Zinsliberalisierungsschritte wird es geben, aber sie beziehen sich nur auf Fremdwährungskonten, die einen winzigen Teil der chinesischen Einlagenbasis ausmachen. Den Unternehmen winkt ein erleichtertes Cash Management im Zusammenspiel von Yuan und Fremdwährung, aber der Teufel steckt hier in Details, die sich derzeit beim besten Willen nicht erkennen lassen.Auf chinesische Investoren wirken die neuen Vorschläge der Zentralbank aber dennoch elektrisierend, weil sie eine Stoßrichtung in der Reihenfolge von Kapitalverkehrslockerungen erkennen lassen. Dabei dürften grenzüberschreitende Wertpapierengagements ganz vorn in der Reihe stehen. Die Blaupause der Zentralbank lässt nämlich erkennen, dass in- und ausländische Private und Institutionelle, die aus der Zone heraus agieren, jenseits der peniblen etablierten Quotensysteme wie zum Beispiel RQFII (Renminbi Qualified Foreign Institutional Investors) und QDII (Qualified Domestic Institutional Investors) grenzüberschreitende Investments und Wertpapieranlagen tätigen können. Das spricht immerhin dafür, dass eine verbesserte Durchlässigkeit ausländischen Kapitals auf chinesische Wertpapiermärkte und umgekehrt eine Freigabe für Auslandsengagements chinesischer Anleger getestet wird.So gesehen passt alles ganz prima zu der Mitte November vorgestellten chinesischen Reformagenda. Und seitens der Zentralbank scheint man gar auf die Tube zu drücken. Die ersten auf die Zone beschränkten Liberalisierungsschritte könnten bereits in drei Monaten umgesetzt werden, betonte jüngst ein Vertreter. Nach einem Jahr könnte man daran denken, in Schanghai getestete Freizügigkeiten auch auf andere chinesische Gebiete zu übertragen. Analysten zeigen sich angetan von einer für chinesische Verhältnisse extrem flotten Umsetzungsgeschwindigkeit.Die große Frage aber ist, was tatsächlich umgesetzt wird. Hier geht die Blaupause der Zentralbank äußerst sparsam mit Details, aber sehr großzügig mit Hinweisen auf angemessene Zeitrahmen, qualifizierte Adressaten und in Frage kommende Geschäfte um. Es gibt jede Menge Spielraum für Vertagung und Eingrenzung. Dass die Schanghai-Zone zwangsläufig der große Katalysator und Beschleuniger einer umfassenden chinesischen Yuan-Liberalisierung wird, ist damit noch lange nicht entschieden. Sie kann sich ebenso gut als ein Testballon erweisen, aus dem schon bald die ganze heiße Luft entweicht.——–Von Norbert HellmannSchanghais Freihandelszone als eine neue Testzone für die Liberalisierung des Kapitalverkehrs weckt große Erwartungen. Man muss auf Enttäuschungen gefasst sein.——-