Chinas Wirtschaft sendet vermehrt Warnsignale
Von Ernst Herb, HongkongIm zentralchinesischen Landbezirk Yichuan hat die Polizei Mitte der Woche eine 29-jährige Frau in Haft genommen, weil sie angeblich über die sozialen Medien verbreitet hatte, dass “die lokale Landwirtschaftsbank pleitegeht”. Das löste einen Run auf die Yichuan Rural Commercial Bank aus. Der Absenderin der Nachricht wird gemäß der Hongkonger Tageszeitung “South China Morning Post” das “Fabrizieren von Fakten und die Störung der öffentlichen Ordnung” vorgeworfen. Dabei kann die Frau nicht alles frei erfunden haben – schließlich ermittelt der lokale Ableger der Kommunistischen Partei gegen den Verwaltungsratspräsidenten des Geldhauses wegen – wie es heißt – “ernsthafter Verletzung von Disziplin und Gesetz”. Zweifel an offiziellen ZahlenAuch die Tatsache, dass vor drei Monaten die Bank of Jinzhou unter das rettende Dach der Industrial & Commercial Bank of China (ICBC) fliehen musste, zeigt, dass auch in China Banken in Liquiditätsnöte geraten können. Zwar ist der Anteil der in den Bilanzen der Geschäftsbanken stehenden faulen Kredite mit unter 2 % stabil im grünen Bereich geblieben. Doch wird diese Zahl allgemein angezweifelt. Nach Schätzungen der Ratingagentur Fitch könnte sich der Anteil der faulen Kredite auf mehr als 20 % belaufen.Die in China fehlende Transparenz dürfte dafür sorgen, dass die Öffentlichkeit wohl nie die genauen Hintergründe des Bank Runs in Yichuan erfahren wird. Doch zeigt der Skandal, dass das chinesische Finanzsystem angesichts eines sich verlangsamenden Wirtschaftswachstums, des Handelskriegs mit den USA und nicht zuletzt einer von der Schweinepest angetriebenen Inflation einem erhöhten Stress ausgesetzt ist. Ansonsten wäre es wohl kaum nötig gewesen, dass die Obrigkeit als Reaktion auf den Run auf eine unbedeutende lokale Bank die Warnung abgegeben hat, dass das Verbreiten von Gerüchten über den Zustand des Finanzsystems “die wirtschaftliche Ordnung, die Finanzsicherheit und die soziale Stabilität bedroht”.Das muss nicht heißen, dass China jetzt einen Bear-Stearns-Moment erlebt, dass also China heute wie die USA vor elf Jahren kurz vor einer Bankenkrise steht. Im Gegenteil konnten die fünf chinesischen Großbanken für das dritte Quartal steigende Gewinne ausweisen. Auch verfügt die chinesische Notenbank angesichts eines Leitzinses von 4,85 % und eines Mindestreservesatzes von 13 % gerade auch im internationalen Vergleich weiter über einen erheblichen geldpolitischen Spielraum. Dieser ist angesichts eines gesamtwirtschaftlichen Verschuldungsgrades, der sich gemessen am Bruttoinlandsprodukt der Marke von 300 % nähert, jedoch nicht grenzenlos. Doch sind die ausstehenden Verbindlichkeiten größtenteils Inlandsschulden – was China bis zu einem gewissen Grad vor externen Schocks schützt.Die große Nervosität der Marktaufsicht zeigt sich auch daran, dass kürzlich 40 von Schanghai aus operierenden Online-Banken die Lizenz entzogen worden ist. Auch auf dem chinesischen Anleihenmarkt kommt es in jüngster Zeit vermehrt zu Zahlungsausfällen. 2014 konnte erstmals ein Schuldner den Forderungen eines Gläubigers nicht nachkommen. In der Zwischenzeit gab es 127 solcher Fälle. Die Zahl der Zahlungsausfälle auf dem weltweit zweitgrößten Anleihenmarkt ist nach Einschätzung des Fondshauses Fidelity für sich genommen zwar noch nicht alarmierend. Doch hat eine wachsende Zahl von chinesischen Unternehmen Mühe, ihren Zahlungspflichten nachzukommen. Gerade ausländische Unternehmen berichten, dass Rechnungen später beglichen würden, als es noch vor einem Jahr der Fall war. Gemäß einer jüngsten Lageeinschätzung von S&P Global Ratings haben Finanzrisiken in einer ganzen Reihe von Sektoren zugenommen, insbesondere im Bereich der Schwerindustrie. Angaben des nationalen statistischen Amtes zeigen, dass die Gewinne der Industriebetriebe gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 5,3 % geschrumpft sind. Schuldenabbau seit 2017Der vom Staat seit 2017 forcierte Schuldenabbau wirkt hier verstärkend. Mittlerweile sind diese eindämmenden Bemühungen wachstumsstützenden Maßnahmen gewichen. Mit dem weiteren Öffnen des Kredithahns nehmen nach Meinung des japanischen Bankhauses Nomura allerdings auch die im Finanzsystem ruhenden Risiken zu.